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Michael We.

ODA RELICTA / OLEGH KOLYADA

Der ukrainische Mischmeister im Interview


ODA RELICTA / OLEGH KOLYADA
Kategorie: Spezial
Wörter: 1370
Erstellt: 15.04.2008
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OLEGH (l.) zusammen mit PETER
von
DEUTSCH NEPAL in Kiew



Reden wir über die Musik von ODA RELICTA, oder zunächst über den Bandnamen – hat er eine bestimmte Bedeutung?

Der Name verkörpert etwas Spirituelles, nicht Fassbares. Er bedeutet deshalb vermutlich nur für mich etwas Besonderes.

Wie gehst Du vor, wenn Du all die vielen Einzelteile mischst? Holst Du Dir die separaten Aufnahmen und baust alles an Deinem PC zusammen?

ODA RELICTA basiert auf Details aus meinem Lebenslauf: Der militärischen Vergangenheit meines Vaters, dem Armeedienst meines Onkels als Mitglied eines Blasorchesters, meiner Bekanntschaft mit regionalen Militär- und Kammermusikern. Wenn ich interessante Musiker kennen lerne, biete ich ihnen eine Melodie, ein Thema an, das sie mit ihren Fähigkeiten neu beleben sollen. Das Ergebnis bereichert meine Entwürfe und bildet die Basis der meisten Songs. Alle Orchester-Parts nehmen wir zuhause oder in improvisierten Open Air-Studios auf. Die klassischen Teile von "Czarstvo Dukha" habe ich mit Hilfe von Kontaktmikros live in unserem Konservatorium mitgeschnitten. Wenn ich dann alle Aufnahmen auf meinem Schreibtisch habe, fängt das Aussuchen und Bearbeiten an, dafür verwende ich natürlich einen PC. Die Musiker, die an ODA RELICTA beteiligt sind, die also die militärischen oder klassischen Stücke einspielen, tun mir damit einen Gefallen, es ist für sie ein Zeitvertreib. Ihre eigentlichen Aktivitäten sind konservativer und haben nichts mit mir zu tun. Aber für mich sind sie sehr, sehr wertvoll. Eines der ganz praktischen Ziele meiner Arbeit ist es, das Vermächtnis der virtuosen Militärmusiker meiner Heimatstadt bekannt zu machen – ich spreche vom ZHYTOMYR MILITARY BRASS ORCHESTRA (1990 bis 2005).

Woher bekommst Du die 'field recordings'? Auf "The Crown & The Plough" ist zum Beispiel Originalmusik von ukrainischen Sommerfesten...

Für diese Aufnahmen sind Stimmrekorder im Einsatz, einige Kontaktmikrofone, sogar Mobiltelefone von ODA RELICTA-Anhängern, verteilt über die ganze Ukraine. Die Namen der einzelnen aufnehmenden Personen könnt Ihr in den Booklets nachlesen, wenn Ihr wollt.

Dein aktuelles Album "Czarstvo dukha" ist voll von klassischen Aufnahmen. Welche Rolle spielt Klassik bei ODA RELICTA?

Eine sehr große, aber keine entscheidende. Klassische Musik sollte von Profis gespielt werden, an ausgesuchten Plätzen, für ein intelligentes und wohlerzogenes Publikum. Klassik ist ein Ritual, manchmal fast ein Tabu, das nur wenigen erlaubt ist und nur von wenigen verstanden wird. ODA RELICTA ist nicht ausschließlich klassisch orientiert, oder auf jeden Fall weniger klassikbezogen, als es zunächst aussieht. Ich mag diesen Elite-Status, den Klassik innehat, aber ich folge ihm nicht mit meiner Musik. Selbst wenn ich persönlich als Einsiedler in einem Elfenbeinturm sitzen würde, würde ich mir wünschen, dass meine Musik für jeden zugänglich ist, der sich dafür interessiert. Deshalb ist eher die militärische Komponente die bestimmende bei ODA RELICTA.

Also war "Czarstvo Dukha" mit seinem liturgischen Ansatz eine Ausnahme?

Nun, es war schon eine Ausnahme, weil ich meine religiöse Überzeugung öffentlich gemacht habe. Das sollte eigentlich geheim bleiben und nie ans Tageslicht kommen. Trotzdem wird das nächste, eher militärische ODA RELICTA-Album ebenso einen liturgischen Aspekt haben wie "Czarstvo Dukha".

Auf "Czarstvo Dukha" sind einige Arrangements des zeitgenössischen ukrainischen Komponisten MYKHAYIL A. SHUKH zu hören. Arbeitest Du häufiger mit ihm zusammen? Komponiert er vielleicht sogar extra für Deine Veröffentlichungen?

Ich habe 2006 ein Konzert von MYKHAYIL A. SHUKH im Konservatorium von Kiew besucht. Ich wurde ihm vorgestellt, und wir haben ein gemeinsames musikalisches Interesse entdeckt. Für die Aufnahmen zu "Czarstvo Dukha" hat er die meisten Klassik-Teile vervollständigt, zusammen mit den Sopranistinnen, mit denen er arbeitet. Ich hatte ihn außerdem gebeten, einige Stellen neu zu improvisieren oder zu verändern, das hat er einfach großartig hinbekommen. Vor kurzem hat er mir gesagt, was er von meinem letzten Album hält: Ihm gefällt das abgemischte Endresultat (Er kannte ja nur die ungemischten Teile.) wegen seiner "Stärke und Harmonie", er spricht von "dramatischer Poesie", einem "großen Spektrum an bildhaften Wechseln zwischen asketischer Stille und ekstatischer Klangfülle". Das ist doch mal eine Meinung, die einen wieder an sich selbst glauben lässt!! Im Moment denken wir über eine neue Zusammenarbeit im kommenden Jahr nach, eine Ehrung der ukrainischen Rebellenarmee mit einem kriegerischen Requiem.

Hast Du irgendeine Ausbildung als Musiker oder Komponist?

Nein, ich habe keinen Abschluss in Musik als Wissenschaft. Ich bin ein autodidaktischer Amateur. Tut mir leid, wenn Dich das jetzt erschüttert.

Wie groß ist das Interesse Deiner Landsleute an Deiner musikalischen Arbeit – bist Du zuhause bekannt?

Ich bin mir nicht wirklich sicher. Einige Leute wissen schon, was ich für Musik mache. Aber ich bin weder berühmt noch ganz unbekannt. Ruhm bedeutet mir nichts. Ein ehrbarer Ruf ist besser.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion blühen viele östliche Republiken in der Post-Industrial-Ära ja musikalisch förmlich auf. Wie aktiv ist die 'Szene' in der Ukraine?

Das Land ist inaktiv, im Vergleich zu anderen Ex-Sowjetrepubliken, zu Ost- und Zentraleuropa und zu den baltischen Staaten. Warum das so ist – mir ist das absolut schleierhaft. Vielleicht machen Konsumdenken und Popkultur jede Absicht kaputt, der Versuchung zu widerstehen. Aber die Zeit heilt, und alles wird sich ändern.

Du bis Mitglied im UKRAINIAN DARK SYNDICATE – was verbirgt sich dahinter?

Ich schätze, es waren meine Projekte, die die Basis für das SYNDICATE gebildet haben. Inzwischen bin ich damit aber nicht mehr wirklich verbunden. Am Anfang waren wir näher zusammen, dann gingen unsere Blickwinkel, Vorlieben und Orientierungen immer weiter auseinander. Das SYNDICATE existiert noch, es wird von einem Enthusiasten zusammengehalten. Vielleicht wird es irgendwann sein ursprüngliches Ziel erreichen, Untergrundmusiker der Ukraine unter einem Dach zu vereinen und ihre Musik weltweit zu vermarkten. Leider muss ich eine anhaltende Stagnation feststellen. Ich habe mich vom SYNDICATE gelöst und möchte eigentlich nicht mehr dazu gehören.

Über ein weiteres Projekt von Dir haben wir noch gar nicht gesprochen; mit FIRST HUMAN FERRO machst Du ganz andere Musik als mit ODA RELICTA, eher Dark Ambient oder Post-Industrial. Warum zwei Projekte?

Mit FHF experimentiere ich schon seit 1998. Es ist ein Projekt mit zwei Gesichtern, einem realistischen und einem nostalgischen. Es ist mein Alter Ego, und ich würde damit nie die Arbeit von ODA RELICTA berühren. Einige Alben auf EIBON RECORDS fassen das Wesen von FHF ganz gut zusammen: "Guernica Macrocosmica" (2003), das in Kürze erscheinende "Prosa Profana" (2008, nostalgisch), "Adamnation" (2007) und das ebenfalls noch erscheinende "Homo Shargey" (2008, realistisch).

Was macht die 'nostalgische' bzw. die 'realistische' Seite aus?

Die Nostalgie hat mit persönlichen Dingen zu tun. Es ist das Eingeständnis, dass es eine private Hölle gibt. Realistisch bedeutet 'universal', 'weltweit'.

Mit welchem Musiker oder welcher Band würdest Du in Zukunft gerne zusammenarbeiten?

Mit dem ZHYTOMYR MILITARY BRASS ORCHESTRA in der jetzigen Besetzung. Mit MYKHAYIL A. SHUKH. Wenn ich mir was in Ricthung Post-Industrial aussuchen soll, dann mit LES JOYAUX DE LA PRINCESSE.

Du bist auf dem Weg zum Doktor der Philologie – wirst Du bald überhaupt noch Zeit für Musik finden?

Du triffst den Nagel auf den Kopf. Ich war in letzter Zeit sehr produktiv, weil es bald so sein wird, dass meine Anstrengungen einer ganz anderen, aber ebenso kreativen Arbeit fernab von Musik gelten werden. Diese Aussicht macht mich sehr traurig…

Auf Deiner myspace-Seite hast Du mit "Holy Alliance" ein neues ODA RELICTA-Album angekündigt, 'martial' soll es sein, das heißt also wieder mit Märschen?

Dieses Mal wird es auf jeden Fall keine Mixe geben. Nur reine Märsche, Hymnen und Tänze im Einklang mit Teilen von alten Anti-Kriegs-Liedern. Das habe ich dazu für die Presse geschrieben: "Haltet das Tempo! Das ZHYTOMYR MILITARY BRASS ORCHESTRA (mit Trommeln, Hörnern, Pfeifen, Holz- und Blechbläsern) spielt lebhafte Marschmusik, wie sie bei Militärparaden zu hören ist. Es sind Märsche, die um ein vielfaches schneller sind als der normale menschliche Herzschlag und Musiker sowie Hörer in Trance versetzen. Erlebt die kraftvollste Militärmusik, die je aufgenommen wurde! Bombastische Märsche verschiedener Epochen, begleitet von wegweisenden Nationalhymnen und sorgfältig ausgesuchten Anti-Kriegs-Liedern der  besten Dirigenten (sowohl antifaschistische als auch antikommunistische Propaganda). Dazu kommen ländliche, marschähnliche Tänze, welche die klassische Seite der Militärmusik hochhalten. Marschiert weiter!"

OLEGH, wir wünschen Dir viel Erfolg mit Deiner Doktorarbeit und trotzdem weiterhin noch genügend Zeit für Musik.

Interview Teil 1
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Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» ODA @ myspace
» FHF @ myspace
» FHF (nostalghia) @ myspace
» UKRAINIAN DARK SYNDICATE
» SYNDICATE @ myspace
» NEUROPA (ODA-Label)
» Stadtjournal Zythomyr (ukr.)

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