SONNE HAGAL: Jordansfrost Warum die lange Einleitung? Ja, weil ich felsenfest davon überzeugt war, dass es auf „Jordansfrost“ genauso weitergeht und dieses Album einfach nur durch und durch „schön“ wird, den „Neofolk“ von seiner Schokoladenseite zeigt. Jetzt bin ich etwas enttäuscht, da dem nicht so ist und „Jordansfrost“ dennoch angenehm, streckenweise wunderbar ist und ich das nun in Worte fassen muss.
Das Album klingt unverkennbar nach SONNE HAGAL, unverkennbar nach „Neofolk“ und ist – besonders erfreulich – frei von Lückenfüllern und Totalausfällen. Jedes der zwölf Stücke hat seine Berechtigung. Was jedoch so furchtbar irritiert, ist, dass die „Kinderkrankheiten“ zurückgekehrt sind, dass das Album so sehr „Neofolk“ ist, dass es wirklich schon weh tut, ja schmerzt. Dass SONNE HAGAL dieses Album nach „Nidar“ eingespielt haben sollen, will mir einfach nicht einleuchten, ein natürlicher Entwicklungsprozess ist damit völlig auf den Kopf gestellt. Obskur deutlich wird das u.a. am Gesang, der wieder so „tiefer gelegt“ wurde und dadurch umso unsicherer scheint. Ebenso irritierend ist die zeitweise auftretende und damit zurückgekehrte Elektronik. Sie wirkt zwar nicht so überflüssig wie auf „Helfahrt“, trimmt aber ein Song wie „Hidden Flame“ allzu offensichtlich in Richtung Tanzflächenfüller (Könnte übrigens tatsächlich funktionieren.) und führt SONNE HAGAL in diesem Fall für meinen Geschmack zu Nahe in Richtung IN MY ROSARY. (Die hier gewissermaßen aufgrund ihres Veteranenstatus „Vorfahrt“ haben sollten.) Wie man schon an dieser :IKONEN:-Rezension lesen kann, zwingt einen „Jordansfrost“ förmlich dazu, jeden Song einzeln abzuhandeln. Daran ist nichts schlecht, aber es gibt vielleicht doch ein Hinweis darauf, dass der organische Zusammenhang ein wenig fehlt. Vielleicht ist dies auch der Hauptgrund meiner Irritation, denn schon „Helfahrt“ machte einen etwas zusammengewürfelten Eindruck damals. Mit „Nidar“ war ein organisch roter Faden erstmalig da, und nun hier die Rückkehr zum Durcheinander: Mal Tanzflächenfüller, mal kuscheliger Sensibel-Folk, mal Schlagermusik und mal was „Kämpferisches“. Keiner hat was gegen stilistische Abwechslung oder atmosphärische Wendungen, aber hier hat dies zur Folge, dass einzelne Stücke automatisch mehr mit ihren „Partnersongs“ früherer Werke, speziell des Helfahrt-Albums, korrespondieren, statt mit denen, die sich auf der gleichen Scheibe befinden. Um das mal zu demonstrieren: Das Punk-Wurzeln verratende „Midsummernight“ korrespondiert nicht nur vom Titel her mit „Midwinternight“ oder „Comrade Enemy“; das bereits angesprochene „Hidden Flame“ mit „Futhark“; „Rokh“ mit „Raidho“; „Herr Gilbhardt“ mit „Herbstlied“ („Sinnreger“ 10“) und auch die mich damals wirklich verblüffende, aber deshalb umso sympathischere Schlagernaivität eines Songs wie „Midgard“ („...und über uns zu aller Zeit dreht sich das Sonnenrad, sind Runen mit auf unserem Weg und raunen rechten Rat...so schreiten wir vorwärts mit festem Schritt und erobern die alte Welt zurück“ – da muss ich als gestandener Wessi-Neofolker jedes Mal vom Stuhl fallend bitterlich, aber doch vollkommen fasziniert von so viel „Unschuld“, fast anfangen zu weinen!) feiert auf „Jordansfrost“ mit dem von MARKUS WOLFF (WALDTEUFEL) eingesungenen „Totentanzlied“-Volkslied („Flandern in Not“), welches auch mal von HEINO ("Fahrtenlieder-Album", 1975) und ABSURD ("Blutgericht", 2005) intoniert wurde, atemberaubende, fröhliche Urstände. Nochmals: Das Album stimmt trotz seiner Melancholie absolut vergnüglich. Jedes der zwölf Lieder ist ein kleiner Freudenspender, aber wahrscheinlich nur, wenn einem die Neofolk-Subkultur nicht völlig fremd ist. Auffallend an „Jordansfrost“ scheint mir auch, dass die ruhigen, sensiblen Neofolkliedchen etwas durchdachter und reifer wirken als die kämpferischen Nummern. (Auf „Helfahrt“ war das noch andersherum.) Hier sind SONNE HAGAL einige sehr bemerkenswerte, sinnlich-intime Momente gelungen, zu nennen hier vor allem das etwas an die Meister DARKWOOD erinnernde „Das letzte Lied“ oder der Ausklang „Over The Stone“. Auch „Herr Gilbhardt“ entfaltet eine sehr anrührende Wirkung. Ich weiß nicht, was es ist, vielleicht die recht wohlerzogene, zugeknöpft klingende Frauenstimme, die hier ertönt oder vielleicht auch die aufschimmernde Liedermacher-Müdigkeit, aber gerade dieses Lied lässt eine unfassbare Post-DDR-Mitteldeutschland-Tristesse aus den Boxen steigen. All dies eingefangen zu haben, so wird man vielleicht in ein paar Jahren feststellen, war vielleicht das große Verdienst dieser „Neuen Deutschen Folklore“-Projekte, von denen heute nur noch SONNE HAGAL und DARKWOOD übrig geblieben sind. Übrigens wird in dem Lied nicht gesungen "wer Geld hat nun regiert die Welt", wie ich, ob dieser Weisheit zunächst etwas bestürzt annahm. Nein, "Herr Gilbhardt" regiert sie, sozusagen der Herr des Herbstes bzw. des Monats Oktober. Der Name kommt von den vergilbenden, sich färbenden Wäldern. Doch weiter im Text – die Zerfahrenheit der Rezension spiegelt die Zerfahrenheit des Albums wieder. Absolut bemerkenswert und für SONNE HAGAL eine Neuerung ist der starke durch DEATH IN JUNE gefilterte ENNIO MORRICCONE (Dollar) Soundtrack- (Trompeten)-Einfluss, der sich ein wenig auf „Hidden Flame“ und ganz besonders dann auf „Ragnarök“, mit KIM LARSEN (:OF THE WAND AND THE MOON:) als Sänger, zeigt. Vom Ohrwurm- und Schunkelfaktor (Schifferklavier) her sicher der Hit des Albums. Nun noch einmal kurz zu dem auch schon erwähnten Schenkelklopfer des Albums: „Totentanzlied“ von MARKUS WOLFF (WALDTEUFEL) eingesungen, nur soviel: Ich bin sprachlos. Dieser unapologetische Ernst, der das Ganze erst recht komisch scheinen lässt, ist genau das, was diese Musik so faszinierend macht. Erst wenn kein Mensch so etwas mehr „unreflektiert“ findet und auch ich nichts mehr komisch dran finden kann, ist der Sieg sichergestellt! Bis dahin muss ich jedoch anmerken, dass die Version von Altmeister HEINO noch einen Hauch besser ist! (CAMPINOs-Welt muss untergehen! – "Live in reverse. The end of your world will be my curse", wie SONNE HAGAL selbst singen.) Fazit: Gutes, kurioses und inspirierendes Album, wer den durch (an)klagende Geigen geprägten Stil von SONNE HAGAL mag und auch den amateurhaften Gesang liebgewonnen hat, wird begeistert sein. Dennoch ist „Jordansfrost“ ein Album geworden, welches irritierenderweise das SONNE HAGAL-Reifewerk „Nidar“ völlig umgeht. Für ihre „Karriere“ wäre es zu wünschen, dass sie das nächste Mal versuchen, erwachsener zu sein und eher dort wieder anknüpfen. Quo Vadis deutscher Neofolk? DARKWOOD lieferten letztes Jahr den vielleicht letzten Klassiker dieser kleinen Welt ab und nun ist es SONNE HAGAL gelungen, ihr erfolgreiches „Helfahrt“-Album in jeder Hinsicht zu übertreffen, aber was folgt nun? Neue Projekte, die hinzustoßen werden oder schon hinzugestoßen sind (TRAUMERLEBEN etwa) repräsentieren automatisch eher etwas anderes, und dieses kleine Minigenre dürfte jetzt nur noch die Wahl haben, entweder vollends zum Schlager (PUR), zur Liedermacher-Szene (REINHARD MEY) vorzustoßen (Wollen wir das?) oder ihre Musik mit Elementen anzureichern, die sie in irgendeine Weise tiefer rein in Postpunk/Postrock/Post-Black Metal-Welten führt. Möglichkeiten bestehen, gerade der WALDTEUFEL erfreut sich einer gewissen Beliebtheit, sowohl in der nordamerikanischen Black Metal-Szene als auch unter DRONE-Experimental-Enthusiasten. In der Hinsicht ist es übrigens bedauerlich, dass damals aus der wohl geplanten ERNTE/TRIBES OF NEUROT-Veröffentlichung nichts geworden ist. Nötige Synergieeffekte wären dadurch vielleicht schon längst aufgetreten. P.S. Der Vollständigkeit halber: Auf „Jordansfrost“ wimmelt es nur so von „prominenten“ Gastmusikern. Im Digipack sind zwölf aufgezählt, aber nur die im Text erwähnten, haben einen künstlerisch hörbaren Eindruck hinterlassen, weshalb ich die anderen bewusst nicht nennen will, um den wahrscheinlich kalkulierten Werbeeffekt zu torpedieren.
Dominik T. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » SONNE HAGAL » SONNE HAGAL@Myspace Themenbezogene Artikel: » SONNE HAGAL: Ockerwasser » SONNE HAGAL : nidar MCD Themenbezogene Newsmeldungen: » DVD mit SONNE HAGAL » SONNE HAGAL - Neues Album in Kürze
Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln ausschließlich die Meinung des jeweiligen Verfassers bzw. Interviewpartners wieder. Nachdruck (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung durch den Betreiber dieser Seite.
|
Zusammenfassung
Neofolk bis zum bitteren Ende!
So gleichet unser Siegeszug der Sonne Lauf und des Adlers Flug! Inhalt
1. Flackerndes Feuer
2. Midsummernight 3. Vengeance 4. Das letzte Lied 5. Hidden Flame 6. Rokh 7. Herr Gilbhardt 8. Ragnarök 9. Who has seen the Wind? 10. Totentanzlied 11. The Hawk 12. Over The Stone ca. 48 Minuten Schicke, edle Digipack-Packung, mit "heidnischen" Bildern, aber ohne Texte. |