Vorab, das Rück-Album von NECROMANTIA bekam überwiegend negative Kritiken, bemängelt wurde meist der Sound, der angeblich (einmal mehr) zu „blechern“ oder zu „dünn“ sei und alles zu „zerfahren“, „unausgegoren“ und „unkoordiniert“ wirke. Fast alle Kritiken erwähnten in diesem Zusammenhang, wohl aus Unkenntnis, nicht einmal, dass NECROMANTIA ohne Rhythmus-Gitarre auskommen. Der Verfasser hier ist zweifellos ein sehr treuer Anhänger ihrer Musik, aus diesem Grund sicher auch positiv voreingenommen, wenn nach so langer Zeit wieder etwas von dieser bedeutenden Band erscheint, dennoch, was sich die „Kritiker“ hier zum Teil leisten, kann nur noch als hochgradig stümperhaft bezeichnet werden.
„Es kann eben nicht jede Band des Genres nach „Norwegen“ klingen“, möchte man diesen Pfeifen zurufen, noch steht es irgendwo geschrieben, dass immer dann wenn eine extreme Metalband Einflüsse aus der klassischen Musik verarbeitet, das Ergebnis so überkandidelt-neureich-protzig, peinlich-ambitioniert (Geld vernichtend) und bieder ausfallen muss wie dies bei THERION oder noch schlimmer bei RAGE, ATROCITY, DIMMU BORGIR und Konsorten der Fall ist. THE MAGUS scheint die Situation ganz realistisch einzuschätzen, wenn er im Interview sagt, er glaube nicht, dass NECROMANTIA noch viele neue Fans gewinnen oder eines Tages mal einen irgendwie gearteten „Durchbruch“ schaffen könne. Im gleichen Interview betont er ausdrücklich, mit dem Sound (dem „blechernen“) sehr zufrieden zu sein. Recht hat er, der Sound ist wie er ist und genau das verbreitet die unverkennbar obskure NECROMANTIA-Atmosphäre!
Wie bereits angedeutet, das Album ist stärker noch als ältere Aufnahmen stark von klassischer Musik inspiriert (vor allem
Programmmusik a la MUSSORGSKY), sehr verschachtelt, dennoch typisch NECROMANTIA und damit auch typisch Black Metal, aber eben „Black Metal with a difference“. Das Aggressionslevel ist auch längst nicht so „sakral-bestialisch“ wie noch auf „Scarlet Evil Witching Black“ (1995), noch ist dieser morbide Dilletantismus spürbar, der in den Anfangsjahren („Crossing The Fiery Path“, 1993) die Band so speziell machte. Dennoch geht es auch auf „The Sound Of Lucifer Storming Heaven“ so schön holprig zu, dass trotz des Klassik-Einflusses schon einmal alle Hörer, die nicht durch die Geburtskanalhöllen solcher Bands wie BEHERIT, alten
BARATHRUM oder
DAWNFALL gerobbt sind, von vornhinein als Hörer ausscheiden könnten. Zentrales Stück ist vielleicht „Knights of the Black and White Eagle“ mit einem atmosphärischen Bass-Solo im Mittelteil, der dann auch wirklich was von MANOWARs „Guyana (Cult Of The Damned“) (auf „Sign Of The Hammer“, 1984) hat. Bemerkenswert auch „Les Litanies De Satan - Act II- from Hell“, bei dem man zuerst meint, es sei aufgrund des Titels eine Fortführung der BAUDELAIRE-Vertonung (auf „Crossing The Fiery Path“), tatsächlich wird hier aber in majestätischer Atmosphäre eine Passage aus
JORIS KARL HUYSMANS Schlüsselroman „La-Bas“ (Tief Unten) verwendet.
Wermutstropfen ist vielleicht, dass der MAGUS eigentlich kaum mit seiner Klarstimme zu seinen majestätischen, satanischen Predigten ansetzt (die durch den griechischen Akzent seines Englischs immer besonders eindrucksvoll klangen – zu hören z.B. in der CROWLEY-Adaption „ He, Whom The Gods Hath Feared“ auf dem
THOU ART LORD-Album „Apollyon“, 1996, bekanntlich ein Nebenprojekt des MAGUS, zusammen mit SAKIS von ROTTING CHRIST), wenn er neben seiner Keifstimme „klar“ zu hören ist, hat man sein Organ sogar leicht verfremdet, sowieso hört man mehr solche Spielereien. Das Comeback ist recht modern ausgefallen.
Fazit: Endlich, endlich... endlich mal wieder ein Black Metal-Album, bei dem man das Gefühl hat, es steht in der Tradition solch zutiefst obskur-satanischer Alben wie MASTER’S HAMMER „The Jilemnice Occultist“ oder
MARTYRIUMs „L.V.X. Occulta“ und natürlich von NECROMANTIA selbst. „The Sound Of Lucifer Storming Heaven“ ist eine würdige Rückkehr geworden, ein Album, das sich lohnt, wenn man das Orthodoxe schätzt (Es gibt regelrechte "True Metal"-Elemente auf diesem Album, wenn auch seltsam verschleiert.) und dennoch im Black Metal immer das „ganz Andere“ gesucht hat.
Möglich, dass man mit diesem NECROMANTIA-Album auch dann noch nichts anfangen kann, bin auch noch etwas unschlüssig, da es durchaus kein sehr kraftvolles, sogar etwas blutleeres Album geworden ist, aber es ist dennoch vollkommen anders als es die bisherigen, oft beschämend-ignoranten Rezensionen überwiegend suggerieren.
Darüber hinaus ist es wichtig, nochmals die Bedeutung von NECROMANTIA klar zu machen: Sie sind mit die letzten Überlebenden einer bestimmten Art Black Metal zu präsentieren. Andere interessante, nicht-norwegische Kollegen des Frühneunziger Black Metals (oder früher) haben sich entweder aufgelöst (MASTER’S HAMMER, BEHERIT, OPHTHALAMIA, MONUMENTUM, SADISTIK EXEKUTION) oder suchten mit unterschiedlichem Erfolg den Durchbruch (CRADLE OF FILTH, MOONSPELL, SIGH, ROTTING CHRIST).
Außerdem hat der Erfolg solcher Bands XASTHUR, SUNN O))), VELVET CACOON oder NADJA dem Black Metal ursprünglich fremde Interessierte angelockt, was ja nichts Schlechtes ist, aber eben auch dazu führt, dass Menschen mit nicht dem mikroskopischst-kleinen Schimmer eines Einblicks Sätze schreiben wie diesen:
„Nadjas Breitwand-Metal ist frei vom pubertären Böse-Buben-Gestus, der sonst die Splitter-Genres des Metal bestimmt, es handelt sich sozusagen um Meta-Black-Metal, der alles »Böse« nur noch als spielerisches Zitat mittransportiert.“ (Martin Büsser,
TESTCARD). Normalerweise müsste man merken, dass die alten Black Metal Bands einen sehr feinen Sinn für Humor und Ironie hatten, den ich jetzt ehrlich gesagt bei so "Brillenträger Drone-Metal" weniger entdecken kann (mag NADJA trotzdem), aber das klarzumachen, ist wohl vergebliche Liebesmüh.
Schön, dass sich NECROMANTIA nicht Richtung „Kunst“ verabschiedet haben, bewusst Lyrik wie die unten beigefügte verwenden und dabei wie alle, die sich die Mühe machen zu verstehen, wissen, dass der 90er Jahre Black Metal mit all den phantastischen, originellen Bands auf
OSMOSE (nicht nur aus Skandinavien, sondern aus allen Herren Ländern) nur durch „pubertäre“ Faszination „am Bösen“ und den Ehrgeiz, selbst die „böseste“, nihilistischste Musik zu fabrizieren, hat entstehen können. Über diese Haltung wurden Genregrenzen eingerissen, ohne dass damit ein künstlerischer Avantgardeanspruch beabsichtigt war. Fragt von mir aus den großen O’MALLEY (SUNN O)))), der selbst leidenschaftlicher NECROMANTIA-Fan war (oder noch ist).
NECROMANTIA musizieren noch mit diesem Gefühl. Der Black Metal Geschichtskittung entgegentreten!
P.S. In Kürze sollen zwei Split-Singles erscheinen: NECROMANTIA vs.
ACHERONTAS (ehemals STUTTHOF) und NECROMANTIA mit ihren alten Freunden und Kollegen ROTTING CHRIST, die ja so groß geworden sind. Besonders letzteres ist eine wundervolle Nachricht, zumal ja ROTTING CHRIST ansatzweise wieder an alte Stärken anknüpfen...
P.P.S. Eine vernünftige Rezension habe ich dann zumindest online
doch gefunden!
Bin mal wieder einer von den ganz Schnellen, aber hier noch eine Lobeshymne:
http://www.bloodchamber.de/cd/n/4513/
Die Platte gibt gerade für knapp 10€ bei amazon.
Richard, Danke für den Kommentar, naja "RH"-Rezis musste man eh schon immer gegen den Strich lesen.
"Experimentell" ist Definitionssache, "schnörkellos" ist ihr BM jedenfalls nicht und durch die ungewöhnliche Instrumentierung ist N. de facto für mich immer schon im vorhinein experimentell, jedenfalls in Relation zu den viel zu vielen.
Der Sound gefällt mir so.
Recht hast Du damit, daß das Album nicht an die Frühwerke heranreicht, aber das hat vielleicht (oder ganz sicher) was mit uns zu tun, unseren Erinnerungen... siehe die Rezensionen, die ich zuletzt verlinkt habe. Schließe mich dem an!
Ich bin jetzt ersteinmal nur froh, daß es NECROMANTIA weiterhin gibt!
Nur als Fussnote: Im Soundcheck des Rock Hard und des Orkus (hier aber mit Spitzen-Rezi ;-)) belegt Necromantia jeweils den letzten Platz. ;-)
Ein bisschen muss ich Dir aber widersprechen: "The sound..." kommt an die alten Frühwerke nicht ran, der Sound ist dieses Mal wirklich sehr dünn ausgefallen und hält den Vergleich zu alten Werken ebenfalls nicht stand und das Experimentelle sucht man, zumindest ich, ebenfalls vergeblich. Dennoch starke Platte.