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Michael We.

RASSEMENSCHEN HELFEN ARMEN MENSCHEN (EP)

"Ein guter Schlachtruf für die neue Zeit"


RASSEMENSCHEN HELFEN ARMEN MENSCHEN (EP)
Genre: New Wave
Verlag: Kunstflacksc...
Vertrieb: ANNA LOGUE...
Erscheinungsdatum:
Oktober 2007
Medium: Vinyl 7''
Preis: ~11,00 €
Kaufen bei: ANNA LOGUE...


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Vor 26 Jahren wurde der erste Ton von RASSEMENSCHEN HELFEN ARMEN MENSCHEN auf Vinyl gebannt. Initiator GOTTFRIED DISTL erzählt im NONPOP-Interview, womit er heute sein Geld verdient.





Guten Tag Herr Distl. Eine uncharmante Frage zum Einstieg: Wie alt sind Sie?

GOTTFRIED DISTL: Ich bin Jahrgang 1954.

Es ist schon eine Weile her, aber erklären Sie uns doch noch mal, wie es zu dem Namen der Band, über die wir hier sprechen, kam: RASSEMENSCHEN HELFEN ARMEN MENSCHEN...

GD: Es gab damals im Jahr 1981 in Wien eine Rassekatzen-Ausstellung, die stand unter dem Motto „Rassekatzen helfen armen Katzen“, weil die Einnahmen Katzen in Tierheimen zugute kamen. Daraus haben wir RASSEMENSCHEN HELFEN ARMEN MENSCHEN gemacht, weil es so schön provokant klang und weil es zum neuen harten Zeitgeist-Image passte, das damals auch DAF so perfekt verkörperten und mit dem wir uns von den soften, im Alternativ-Sumpf versaggerten Siebzigerjahren abgrenzen wollten. Die Achtziger sollten einfach anders werden und das war ein guter Schlachtruf für die neue Zeit, das hatte Power.

Haben Sie denn mit dem provokanten Bandnamen auch Reaktionen provoziert, also vielleicht ein Auftrittsverbot in der ZDF-Hitparade (oder dem ORF-Pendant)?

Es wurde über diesen Bandnamen diskutiert, so wie etwa auch über die DEUTSCH-AMERIKANISCHE FREUNDSCHAFT diskutiert wurde. Aber aufgeregt hat sich niemand, man nahm es mit Humor. Damals waren die Zeiten definitiv offener und nicht so - obwohl wir uns heute liberaler geben denn je - reglementiert. Man hat jetzt mehr Bretter vor dem Kopf, auch in Sachen Humor, der nur in punkto Sex freizügiger sein darf. Ansonsten wird vermehrt in Schablonen gedacht, was unglaubliche Tabus erzeugt, obwohl es mehr wissenschaftliche Erkenntnisse gibt denn je, die kommen aber in der großen Unterhaltungswelt nicht vor. Anfang der 1980er Jahre wurde dieser Bandname wohl noch differenzierter gesehen, weil das Bildungsniveau allgemein höher war. Seit damals wurde das Bildungsniveau ja radikal nach unten nivelliert, weshalb sogar die Intellektuellen von heute im Vergleich zu früheren Generationen nur Halbgebildete sind. Aber das macht nichts, weil es heute in allen Bereichen von Journalismus bis Politik nur noch PR und Marketing gibt und freies Denken daher ohnehin nicht mehr möglich ist. RASSEMENSCHEN HELFEN ARMEN MENSCHEN: darüber könnte man eine Dissertation schreiben, so analytisch bringt dieser Satz gesellschaftliche Mechanismen und zwischenmenschliche Strukturen von Helfersyndrom bis Hierarchien auf den Punkt, die tabu sind und über die niemand spricht. Vielleicht schreibe ich diese Dissertation ja noch selbst, später, wenn ich mal in Rente bin.
 
Werden Sie heute noch auf ihr damaliges Projekt (bzw. auf ihre damalige Arbeit überhaupt) angesprochen?

GD: Ich habe über die Jahre immer wieder aus den verschiedensten Ländern E-Mails mit Anfragen bekommen. Dank des World Wide Web kann man jetzt die Songs auf iTunes und anderen digitalen Plattformen downloaden: Vier Titel unseres RASSEMENSCHEN HELFEN ARMEN MENSCHEN-Projekts, vier Titel unseres New Wave-Swingband-Projekts STERNENSTAUB und zwei Titel von GOTTFRIED DISTL & BAND. Die Experimentalfilme und Art Movie Clips, die ANDREA DEE und ich in den 1980er Jahren auf Super 8 gedreht haben, wurden im Rahmen der Medienkunst-Ausstellung „1.X-Tended“ gezeigt und jetzt kann man sie hier auf DVD bestellen.

Was hat Sie damals angetrieben, mit RASSEMENSCHEN (und anderen Projekten) Musik zu machen, die heute wohl als "Neue Deutsche Welle" einsortiert wird? Das Umfeld, also die vielen deutschsprachigen Songs, die plötzlich auf dem Markt waren?

GD: Da war eine Energie, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Die Aufbruchsstimmung hat einfach alle inspiriert, eine derartige Offenheit und Kreativität hatte es in der Form bis dahin im deutschsprachigen Raum nicht gegeben, alles war möglich und jedes Band-Projekt hatte einen eigenen Sound und einen eigenen Stil. Heute scheint das nicht mehr so zu sein, sonst würden nicht die meisten deutschsprachigen Bands so eintönig und einfallslos klingen. Aber das Sein macht das Bewusstsein. Wenn die Bedingungen für wilde Kreativität nicht vorhanden sind, wird auch nichts entstehen. 

Wie fanden Sie FALCO?

GD: Ich habe FALCO persönlich gekannt und ihn immer für ein einmaliges Pop-Talent gehalten. Er hat ein originäres Werk hinterlassen, das leider wirklich erst nach seinem Tod so richtig gewürdigt wurde.
 
Waren Sie an der Entscheidung beteiligt, die beiden RASSEMENSCHEN-Singles wiederzuveröffentlichen? Was gab den Ausschlag?

GD: Ein Herr namens JÜRGEN GEMEINBÖCK machte den Vorschlag, eine EP mit allen Tracks von RASSEMENSCHEN in einer limitierten Auflage von 150 Stück für Sammler herauszubringen und ich war einverstanden. Es ist schön, dass es die Tracks jetzt auch wieder auf Vinyl gibt und nicht nur als Online-Downloads.

Ist das Label KUNSTFLACKSCHALLPLATTEN, auf dem die EP (als bisher einzige Veröffentlichung) herausgebracht wurde, der Startschuss für neue Aktivitäten? Experimentalfilme, Provokationen, Anarchopunk... wie in alten Zeiten? 

GD: Die Vinyl-Veröffentlichung ist Teil des Programms, unsere Arbeit der Nachwelt zu erhalten. Die Lieder und Filme sind jetzt digitalisiert, und via Internet kann sie jeder finden, der sich dafür interessiert. Das Internet ist heute Galerie und Pop-Museum für die Ewigkeit und damit die ganz große demokratische Alternative zur etablierten Hochkultur mit ihren Hierarchien und Macht-Strukturen. Wir haben in den frühen 1980er Jahren mit den einfachsten Mitteln multimediale Statements produziert, ohne auf Subventionen zu schielen und ohne Kompromisse zu machen: das war die Provokation – und unsere Arbeiten von damals sind immer noch „Untergrund“, oder besser „Grundloser Untergrund“, wie einer unserer Songs heißt. Denn wer so unabhängig ist, wie wir es waren – Independent im besten Sinn des Wortes, der hat nichts zu verlieren und kann nur Freiheit gewinnen, aber eine Freiheit, von der man auf die Dauer nicht leben kann.

Werden wir von RASSEMENSCHEN... bald wieder etwas hören? Ein Jubiläums-/Reunionkonzert vielleicht?

GD: ANDREA DEE und ich haben jetzt im Rahmen der Ausstellung „1.X-Tended“ neue eigene literarische Texte gelesen, nähere Infos dazu hier.

Machen Sie noch aktiv Musik?

GD: Zur Zeit nicht.

Womit verdienen Sie heute Ihr Geld?

GD: Als Chefredakteur der Kino- und Entertainment-Zeitschrift "M magazine".

Damals vom Punk der EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN-Vorgängerband GENIALE DILETTANTEN inspiriert (so steht es in einer Kurzbiografie), heute Chefredakteur eines eher mainstream-orientierten Unterhaltungs-Printmagazins - sind Sie brav geworden?

GD: Die Welt um mich herum ist brav geworden. In den 1980er Jahren wurden unsere Songs auch im Hit-Radio Ö3, dem größten österreichischen Popsender, gespielt, weil der ORF damals neben dem Kassemachen das Volk zwischendurch mit sogar subversiver Kunst bzw. Pop-Art zwangsbeglückte. Diesen kulturellen Anspruch gibt es heute nicht mehr, jetzt geht es nur noch ums Abcashen. Die Menschen werden rund um die Uhr mit Mainstream-Gedudel betäubt, sie sollen konsumieren und zwischendurch können sie auch mal was gewinnen, da ist kein Platz mehr für Rassemenschen Helfen Armen Menschen. Zum Glück gibt es heute das Internet mit iTunes und anderen digitalen Plattformen. Thank God for the Internet.

Haben Sie noch Kontakt zu den damaligen Bandkollegen, vor allem zu RASSEMENSCHEN-Mitbegründerin ANDREA DEE?

GD: ANDREA DEE ist seit damals meine Partnerin, wer leben und arbeiten immer noch zusammen.

Welche CD / Welchen Song hören Sie gerade oft?

GD: Beruflich "Rock N Roll Jesus" von KID ROCK, weil ich für "M magazine" gerade eine Geschichte über ihn schreibe. Privat höre ich immer wieder Beat-Musik aus den 1960er Jahren, weil diese Songs ganz große Klasse hatten und so reich an Ideen waren, dass man ewig davon zehren kann.

Welchen Film haben Sie zuletzt richtig gut gefunden?

GD: "American Gangster", den neuen Film von RIDLEY SCOTT.

Herr DISTL, wir bedanken und für das Interview.


Zur Review
Zum Österreich-NDW-Artikel von 1982

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Kunstflackschallplatte @ myspace
» DISTL / DEE @ myspace
» Abhandlung über die Texte der NDW
» NDW-Seite mit Bands und aktuellen CD-Empfehlungen
» viele NDW-Lyrics
» deutschsprachige Punk- und Wave-Diskographie
» CHUZPE @ myspace
» M magazin @ myspace


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Zusammenfassung
Ein schönes Beispiel, warum die NDW-Zeit doch viel Gutes hatte: Weil abseits der so genannten Stars jede Menge passiert ist, das sich wiederzuentdecken lohnt. Diese fünf Songs aus Österreich zum Beispiel sind heute noch so charmant, avantgardistisch und wunderlich wie damals.

Inhalt
Limitiert auf 150 Stück, incl. Kopie eines Zeitungsartikels von 1985 mit zahlreichen Infos zu DEE und DISTL.

A1 Ich Kann Es Nicht Erklären
A2 Alles Ist Mir Recht
A3 Grundloser Untergrund
B1 Die Ballade Von Der Peripherie
B2 Ist Es Nicht Ein Wunder
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