http://www.nonpop.de/nonpop/index.php?nav=1&area=1&p=articles&action=showdetails&id=1496&artpage=2&type=special
NONPOP - Artikel > Interviews > Musiker > THOMAS NÖLA - A WOLF AMONGST MEN...



Roy L.

THOMAS NÖLA - A WOLF AMONGST MEN...

"sounds like fun"


THOMAS NÖLA - A WOLF AMONGST MEN...
Kategorie: Spezial
Wörter: 3305
Erstellt: 27.10.2007
Kaufen bei: Amazon


Schrift vergrößern Schrift verkleinern


Im Gespräch mit Thomas Nöla


Hallo Thomas, Du bist Schriftsteller, Musiker und Regisseur in einer Person. Womit hat das alles für Dich angefangen, mit Musik, Filmen oder Literatur? Oder kam alles gleich zusammen?

Nichts davon, wirklich. Ich bin nicht besonders geschult in auch nur einer dieser Formen, abgesehen von einem kurzen und unangenehmen Aufenthalt an einer Kunsthochschule, und mir wurde auch niemals irgendein Instrument zu spielen beigebracht. Mein erster echter Output war vermutlich eine öffentlich gesendete Fernsehshow, die ich geschrieben habe, bei der ich Regie führte und auch mitwirkte, während ich noch ein ganz grässlicher Highschool Schüler war. Aber es hätte genauso gut etwas anderes sein können.


Hast Du jemals bei einem Bühnenstück am Theater Regie geführt oder warst anderweitig an so etwas beteiligt? Würdest Du jemals dem Film den Rücken kehren und aufs Theater umsteigen?

Ich bin noch nie sehr gern ins Theater gegangen, außer um "Jesus Christ Superstar" zu sehen (was genial ist). Es neigt auch dazu, dumm zu sein. Also klar, genau aus diesem Grund bin ich an einem Bühnenstück interessiert. Es scheint, dass ein drastischer Wechsel Not tut. Ich habe schon über eine Bühnenproduktion von "The Doctor" nachgedacht, eines Tages, falls ich JERRY ADAMS jemals dazu bringen sollte, sich seinen ganzen Text auf einmal zu merken.


Mit 27 Jahren schon drei Filme gemacht - wo soll das noch hinführen? Nach Hollywood?? Was würdest Du machen, wenn ein Angebot von einem großen Studio kommt?

Ich habe nichts gegen Hollywoodfilme. Sie sind für gewöhnlich besser als das alternative Kino. Ich würde es vorziehen, in Bollywood zu arbeiten, aber mein Hindi ist zurzeit noch ziemlich grauenvoll. Wenn mir das Geld angeboten werden würde, würde ich sagen: "Ein fürchterlich modernes Remake von "Splendor In The Grass" ("Fieber im Blut", USA 1961 - Anm. d. Verf.)? Mit BEN AFFLECK und KATE HUDSON in den Hauptrollen? Ich bin dabei!". So lang der Scheck gedeckt ist. Alles ist besser als dieses Independentfilmmilieu und die Budgets, von denen ich immer öfter höre, dass sie mit "Schnürsenkeln" verglichen werden. Klar, Geld wäre schon ganz nett, aber ich würde mich wahrscheinlich nicht aufhängen, wenn es nicht dazu kommen sollte. Wer weiß schon, was vor einem liegt?


Du bist schon sehr viel durch Europa gereist und Dein neues Album "¡Vanity Is A Sin!" besitzt - ähnlich wie Deine vorangegangenen Arbeiten - wieder ein gewisses "europäisches" Gefühl. Was ist so anziehend an Europa für Dich?

Nicht mehr als an anderen fremden Ländern. In Europa sehe ich vor allem Denkmäler und Falafelstände. Ich mag Denkmäler und Falafel, aber ich bin mir nicht so sicher, ob irgendetwas, was ich tue, mehr europäisch als amerikanisch ist. Ich denke, es ist eher der Fall, dass die ganze typische moderne Kunst in Amerika so stumpfsinnig ist, dass alles von hier, was ihr nicht halbwegs ähnlich sieht, ausländisch auszusehen scheint. Ich bin meistens mehr an den Stimmungen, dem Stil und der Geisteshaltung der vergangenen Jahrzehnte oder Jahrhunderte als an jener der Gegenwart interessiert. Die Gegenwart ist unglücklich und nicht zufriedenstellend, daher sind Zeitreisen wichtig. Und ich würde jeden Tag einen Trip ins New Jersey von 1917 einer Reise nach Bayern 2007 vorziehen.


Sowohl Deine Filme als auch Deine Platten erwecken einen stark anachronistischen Eindruck. Sie werden oft von Art Nouveau-Versatzstücken begleitet und ihnen haftet generell eine dichte Atmosphäre des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts an, was dann manchmal noch in einen zeitgenössischen Kontext übertragen wird. Ist für Dich die Formel "drift in dreams of other lives and greater times" auch zutreffend?

In der Tat. Es scheint, dass jede Zeit außer der gegenwärtigen besser ist. Die künstlerischen Tendenzen wurden von unserer Generation in ziemlich langweilige Regionen gelenkt, und es scheint auch nicht besser zu werden. Als ich angefangen habe, an "So Long, Lale Andersen" zu arbeiten, versuchte ich mir vorzustellen, wo die Populärmusik heute stehen würde, wenn die Geschichte nicht so verlaufen wäre, wie sie es um den Zweiten Weltkrieg herum etwa tat... Was wäre, wenn das Jazz-Zeitalter niemals aufgehört hätte und heutzutage die Popkultur in etwas völlig anderes verwandelt hätte... Vielleicht auch, wie sich Woodstock 1929 angehört hätte. Solche Sachen eben.


Es scheint, dass Du - abgesehen von DEATH IN JUNE und NOVÝ SVET vielleicht - die meisten musikalischen Inspirationen aus der Musik des frühen zwanzigsten Jahrhunderts beziehst. Für das PUNCH:-RECORDS Festival in Leipzig hast Du damals ein wundervoll altmodisches DJ-Set aus 30er/40er Jahre Songs vorbereitet. Hast Du da einige spezielle Empfehlungen für uns?

Von ein paar Ausnahmen abgesehen, bei denen es sich zumeist um Bands und Leute handelt, die ich persönlich kenne, höre ich nicht viel Musik, die nach den 80ern entstanden ist. Ich höre eigentlich fast nur Popmusik von den 50ern bis zu den 70ern... DAVID BOWIE, ELVIS, ROXY MUSIC, NICO, französischer Girlie-Pop aus den 60ern... ziemlich viel Mainstream-Musik. CHARLIE AND HIS ORCHESTRA aus dem Zweiten Weltkrieg sind natürlich auch spaßig. Und die unbeholfenen und rotzigen Swingversuche der Deutschen sind schwer zu übertreffen.


Es gibt auch einige Cabaret- und Variété-Elemente in Deiner Musik, jedoch alles in eine tiefschwarze "Underground" Klangfarbe getaucht. Siehst Du Dich selbst die alte Entertainer-Tradition fortsetzend? Sind THOMAS NÖLA ET SON ORCHESTRE für das große Showbusiness vorbereitet?

Ich bin es zumindest. Deswegen stelle ich gerade eine neue Band zusammen, die ausschließlich aus einem gut gekleideten weiblichen Streich- und Blasorchester besteht. Ob Schwert- und Feuerschlucker ebenso hinzukommen werden oder nicht, hängt noch etwas in der Luft. Insgesamt bin ich etwas abgestoßen, von dem, was heutzutage alles an Livemusik durchgeht, daher wäre meine ideale Vorstellung eines THOMAS NÖLA ET SON ORCHESTRE-Auftrittes sehr viel theatralischer und würde sicher in größeren Veranstaltungsorten stattfinden als in jenen, auf die ich momentan angewiesen bin. Zumindest würde es eine Marionette am Galgen geben und ein wenig Pornographie von der Leinwand.


Ich habe schon Leute sagen hören, Du seiest "ein besserer NICK CAVE aus den 20ern". Steht Dir das?

Es könnte gewiss schlimmere Vergleiche geben. Er ist einer meiner Lieblinge. Es scheint da etwas zu geben, nicht unbedingt ein Genre, mehr eine Welt für sich, in der er und TOM WAITS leben. Ich kann viel damit anfangen. DAVID E. WILLIAMS hat mir einmal gesagt, der wesentliche Unterschied bestünde darin, dass NICK CAVE "über seinen Schwanz schreibt". Das tue ich nicht... noch nicht.


Das neue Album ist sehr viel songorientierter als der Vorgänger und beruht hauptsächlich auf Gitarrenkompositionen. In einigen Passagen erinnert es mich daran, was Neofolk einstmals in den 80ern bedeutete. Ist "¡Vanity Is A Sin!" Dein ganz persönlicher Neofolk-Versuch?

Nicht wirklich. Für mich ist es mehr DEL SHANNON und ROY ORBISON, als alles was ich je in meinem Leben getan habe. Ich habe früher dazu tendiert, Gitarren zu meiden, hauptsächlich wegen der Dinge, die man typischerweise so mit ihnen tut, aber dann habe ich einmal bewusst probiert, mich bei diesem Thema zu entspannen und, na ja, daran Spaß zu haben. Ich mochte, was dabei herausgekommen ist. In der Musik ist es eigentlich nicht wichtig, welches Instrument gespielt wird. Ich könnte auch gut mit einem Kazoo auskommen, wenn ich unbedingt müsste.


Ist Eitelkeit eine Sünde?

Ja, aber es macht Spaß und niemand schaut Dir zu, also wen kümmert es?


Den Soundtrack zu den Filmen machst Du selbst mit Deinem "Orchestra". Wie arbeitest Du dabei? Schaust Du Dir nach dem Dreh Deinen eigenen Film an und denkst Dir Musik dazu aus, oder passiert das gleichzeitig?

Das ist unterschiedlich. Einige Stücke werden auf ganz gewöhnliche Weise komponiert, also indem ich den Film anschaue und etwas dazu einspiele. Manches Mal werden Szenen aber auch so geschnitten, dass sie, wie ich denke, zur Musik passen. Andere Male verlaufen die Dinge auch ganz seltsam, wie im Falle von "In The Poppy Fields", das ich mit der Intention schrieb, es von einem Radio in "To The Wolves..."spielen zu lassen. Später dachte ich, es sollte lieber für sich und außerhalb des Filmes stehen. Eine Textzeile aus diesem Lied hat letztendlich den Titel des Films gestellt, seltsamerweise.


Du probierst in Deinen kongenialen Soundtracks zu Deinen Filmen eine viel experimentellere Seite aus. Die meisten Kompositionen auf diesen Platten, hören sich an, als würden sie durch die Kanalisation laufen und in einer surrealen und klaustrophobischen Welt voller Geräusche und Stimmen herauskommen, der das Cello von KAREN S. LANGLIE noch eine Prise nostalgischer Melancholia hinzufügt. Interessiert Dich psychedelische Musik?

Sowohl im Sinne von "Piper at the Gates of Dawn" (PINK FLOYD, 1967 - Anm. d. Verf.) als auch in meiner eigenen Definition: ja! Das meiste was ich tue, Musik, Filme oder vor allem die Literatur laufen auf eine "psychedelische" Stoßrichtung hinaus. Die Wirklichkeit ist ein Feind. Alles einigermaßen Lohnende kann Deine Wahrnehmung von Zeit und Raum verändern, ansonsten, wen kümmert's? TONY PRIMAVERA und ich sind letzte Nacht in Trance geraten, als wir zwei Akkorde von "Iron Gate" in einer Endlosschleife von fünfzehn Minuten probten. Abgefahren!


Wieso war Dein erster Film ("Jack") ein Puppen-Musical? Hattest Du damals kein Geld für echte Schauspieler?

Ich bezahle meine Marionetten sehr gut. Sie kommen pünktlich, beschweren sich nicht und verhalten sich höflich. Was von Menschen nicht behauptet werden kann.


Deine filmische Arbeit wird immer mal wieder mit der von DAVID LYNCH verglichen, und ein paar Gemeinsamkeiten liegen ja auch auf der Hand, die vielen surrealistischen, gespenstischen Szenen zum Beispiel. Ist so ein Vergleich ein Kompliment für Dich?

Vergleiche sind in allen möglichen Kategorien unvermeidlich, aber es könnte wiederum schlimmer sein. Mir wurde auch schon mal FASSBINDER und POLANSKI angehangen, was ganz gut war, um mein Ego zu tätscheln, aber ich denke wirklich nicht darüber nach, wie zutreffend das für mich ist. Mein Freund NICOLAS CAESAR sagt immer, dass der LYNCH-Vergleich für mich eine Art Standardbezeichnung ist, wenn etwas seltsam oder aus einer eigenen Welt zu kommen scheint. Wahrscheinlich ist das so.
Der Boston Globe nannte mein vorhin schon erwähntes Puppenspiel "das Muppet Movie, wie es von DAVID LYNCH geschrieben worden wäre". Der JIM HENSON-Bezug darin war vermutlich der schmeichelndste Part. Als Kind habe ich geweint, als er starb.



Viele Abschnitte der Filme wirken wie Gedankensprünge, ein Gedanke jagt den nächsten, oft auch mit Schwarzblenden dazwischen. Passiert in Deinen Filmen auch einiges zufällig, spontan, oder ist alles genau so, wie es zu sehen ist, von langer Hand geplant?

Ich benutze Skripte und neige dazu, Szenen komplett durchzuplanen, aber ich habe schon versucht, mir das abzugewöhnen. Die meisten Sachen, die mir am besten gefallen, sind Einfälle, die in letzter Minute kommen oder Improvisationen auf der Grundlage einer groben Idee einer Szene. In "To The Wolves…" gibt es eine Szene, in der Bruno Helden und der Doctor beobachten sollten, wie mein Part einen Fisch mit einer Armbrust erlegt. An dem Tag, als wir filmten, lief es nicht richtig... es schien sehr fade, also entschied ich, dass nun stattdessen ein Faustkampf an der Reihe wäre. Das Ergebnis war ziemlich zufriedenstellend.
Was das Tempo oder die zeitliche Abfolge eines Films angeht, ziehe ich es vor, dorthin zu folgen, wohin mein Geist auch immer springen mag, anstatt dorthin, wohin mich ein Plot führen möchte. Überraschungen sind eine Voraussetzung dafür, irgendetwas von Wert zu tun.



Deine Musik wird gerne als "moderner Ragtime" beschrieben, das scheint sich bei den Kritikern durchgesetzt zu haben - wie würdest Du Deine Filme umschreiben?

Ich selbst habe mich einmal als "psychedelischen B-Movie Regisseur" bezeichnet. Das ist wahrscheinlich die beste Art, auf die ich es beschreiben kann.


Im Hollywood- und Disneyland USA - wie groß und wichtig ist die Untergrund-Filmszene? Wie werden Deine Filme in den USA aufgenommen? Aus welchem Land kommt die meiste Resonanz?

Amerika liebt Filme jeglicher Form und sieht sich, ich selbst ja mit eingeschlossen, alles Mögliche an. Die Vermarktung und was nicht alles scheint die Ursache dafür zu sein. Für No-Budget Filme mit Männern in weißgepuderten Gesichtern und Filzhüten in der Hauptrolle, die Tiraden und Monologe über das Für und Wider von Amoralität von sich geben, gibt es wohl noch keine Marktnische. Noch nicht zumindest.   
Deutschland und Großbritannien scheinen meinen Filmen am meisten wohlgesonnen zu sein, soweit es an den Verkäufen abzulesen ist, aber wer kann schon sagen, warum das so ist? Die Vorführungen in Amerika tendierten dazu, das Publikum eher zu verwirren, aber das war auch nicht anders zu erwarten. Wo auch immer, in allen möglichen Ländern können sich die richtigen Leute etwas aus den Filmen nehmen. Ich erwarte nicht, dass sie jedermanns Geschmack treffen. Die meisten können keine richtige Verbindung zu den Filmen herstellen, aber es gibt ein paar wenige, die sie zu lieben scheinen. Das ist ganz in Ordnung für mich.



Was mir am besten an Deinen Filmen gefällt, ist diese Mischung von fast schon "pathetischer" Aufrichtigkeit und einem sehr feinen Sinn für Humor. Der Doctor ist eine Misanthrop bona fide - "a man of the wolves, a lover of doves" - aber seine zynischen Monologe ermangeln nicht der Selbstironie. Die beiden Gentlemen "do as they please", jegliche Arten von Moralvorstellungen ignorierend, scheinen sie dennoch einem Ethos verhaftet zu sein, das in der Tat zwischen "menschlich" und "unmenschlich", "natürlich" und "dekadent" unterscheidet. Gibt es eine Botschaft "jenseits von Gut und Böse" in den beiden Filmen?

Ich würde sagen, dass die beiden Filme trotz ihrer seltsamen Oberfläche realistischer als sogar einige Dokumentationen sind. Die Helden sind kaum Helden und können nicht so leicht von den Pseudo-Bösewichtern unterschieden werden. Charaktere sterben aus irgendwelchen Launen heraus, Situationen und Landschaften wechseln zügig und ohne ersichtlichen Grund. Diese Filme sind Komödien, die den Charakteren wie Tragödien erscheinen. All das passt sehr genau auf die Welt, wie ich sie kenne. Warum sollte man sich ganz geradlinig nur gute Jungs und böse Jungs ausdenken? Warum sollte man Handlungsstrukturen folgen, die einem von Anfang an bekannt sind? Warum vorgeben, dass die Vernunft sich durchsetzt? Da würde ich mich lieber für einen Spaziergang im Wald entscheiden.


Lass uns bitte noch über die Szenerie, den zeitlichen und räumlichen Rahmen beider Filme sprechen. Da haben wir einmal diese düstere und unangenehme Vorstadtwelt, die von einem pseudo-faschistischen Polizeistaat überwacht zu werden scheint, in "The Doctor" und dazu in starkem Kontrast, die wilde und abenteuerliche Welt in "To The Wolves...", in der es unterirdische Bordelle, riesige Wälder und imperiale Königreiche gibt, die sich bereits an der Schwelle zu Dekadenz und Verfall befinden. Was passiert in der und mit der Welt zwischen "To The Wolves..." und "The Doctor" oder ist das ganze nur eine Veränderung in der Wahrnehmung und dem Bewusstsein des Doctors, oder hat dieser gar die Sphäre oder Dimension in "The Doctor" gewechselt?

In den vierzig Jahren, die zwischen den beiden Geschichten liegen, müssen so einige Dinge geschehen sein, aber diese hier zu beschreiben, würde den ganzen Spaß ruinieren. Davon abgesehen, kann ich versichern, dass all die Veränderungen natürlich in einer sehr merkwürdigen Weise vonstatten gingen.


Welches Verhältnis hast Du zu Jerry Adams, der die Hauptrollen in Deinen beiden Vollzeitfilmen ("The Doctor" und "To The Wolves") spielt? Seid Ihr befreundet, oder ist er für Dich einfach ein guter Schauspieler? Wie hast Du ihn kennen gelernt?

TONY PRIMAVERA stellte mich ihm vor, während die beiden noch Zimmergenossen in einem Slum in Boston waren. Da fing das ganze an. Er war Schauspieler und wirkte in ein paar anderen Low-Budget Produktionen mit, als er in Los Angeles lebte, aber davon habe ich nie etwas gesehen.
Ursprünglich war er nicht für diese Rolle vorgesehen. Ich hatte als erstes Kontakt mit GENE WILDERs Agenten aufgenommen, irgendwie ohne realistisch über mein (fehlendes) Budget nachzudenken und welche Wirkung das auf professionelle Darsteller haben könnte. Unnötig zu erwähnen, dass er nicht gerade von den Socken war. BUD CORT hatte ich als nächstes im Visier, aber der war zu dieser Zeit grad ohne Agenten und unmöglich ausfindig zu machen.
Als nächstes versuchte ich es mit einem achtzigjährigen russischen Immigranten, dem ich einmal in Boston auf der Straße begegnet bin. Sein Name war Lipa und er verbrachte all seine Freizeit damit, ziellos umherzulaufen und "wie sagt man... Erotika" zu schreiben. Er sprach kaum Englisch, aber hätte die Rolle gut gespielt. Am ersten Tag der Dreharbeiten rief er mich an um abzusagen. In gebrochenem Englisch erklärte er mir "ich bin ein alter Mann, Thomas". Das ganze ist recht freundschaftlich ausgegangen, aber ich habe ihn seitdem nicht mehr gesprochen.
Ohne einen Darsteller für die Hauptrolle in der Hand zu haben, bin ich erst einmal zum hiesigen Strand ein wenig Schwimmen gegangen, um nachzudenken und mir Klarheit zu verschaffen. Plötzlich kam mir JERRY ADAMS in den Sinn, aber ich hatte Bedenken, er sähe zu jung aus (er war ursprünglich für die später herausgeschnittene Rolle als "Variété Ansager" besetzt worden). Ich habe ihm noch in derselben Nacht eine weiße Gesichtsbemalung verpasst und einen Probedreh gemacht. Es war echtes Kinogold wert und ich hatte den Mut nicht verloren. Er hat die Rolle gemeistert. Er ist der einzige, der jemals der Doctor sein konnte.



Du hast einst DUSTMUFFIN (& THE ALUMINUM CANS) "entdeckt" und ihn zu TAIRYs vielfarbigem Zirkus PUNCH:-RECORDS geführt. Woher kennst Du DUSTIN? War seine Hauptrolle als Bruno Helden seine erste Mitarbeit an einem Film?

Als er fünfzehn war, hatte DUSTIN ein Konzert besucht, das ich für eine frühe Pseudo-Punkband namens THE TORI SPELLING FIASCO organisierte, in der ich auch mitspielte. Er hatte kein Geld dabei um reinzukommen, aber versuchte mit einem Lutscher zu bezahlen. Ich habe mir ein Mixtape angehört, das er mir gegeben hat, ein paar Moog- und Drum-machine-Lieder, die er aufgenommen hatte. Ich war überwältigt. In den Jahren darauf sind wir Freunde, Feinde und Mitbewohner gewesen.
Sein Filmdebüt gab er in meinem ersten Film "Jack". Er spielte einen Charakter namens Napoleon Bonaparte, der wütend wird, wenn der Hauptcharakter unwillentlich eine kleine Porzellanfigur zerbricht, die er gerade erst gekauft hatte. Er erscheint nur in der Eröffnungsszene, die vor einem unserer vielen Ausfälle gedreht wurde. So musste er von einem Ersatzmann für weniger wichtige Dreharbeiten ersetzt werden. Dinge dieser Art neigen dazu, meine Produktionen immer wieder heimzusuchen.
Als Bruno Helden hätte niemand anderes besetzt werden können. DUSTIN - abgesehen von dem guten Kleidungsstil und der gelegentlichen Fähigkeit "auf Deutsch" zu sprechen - ist Bruno Helden. Ich wünschte, er würde häufiger dreiteilige Anzüge tragen, um unser aller Willen.



Für "The Doctor" hast Du DOUGLAS P. als Erzähler engagiert, wie kam diese Zusammenarbeit zustande? Planst Du eventuell weitere Projekte mit ihm?

DOUGLAS und ich standen aufgrund eines DEATH IN JUNE-Konzertes in Kontakt, das ich in Boston initiiert hatte, was letzten Endes nicht nur der allerletzte DIJ-Auftritt in Amerika gewesen ist, sondern auch der letzte Auftritt überhaupt in diesem Club, bevor er abgerissen wurde. Das scheint ganz passend.
Ich suchte nach einer sehr charakteristischen, womöglich britischen Stimme für den Erzähler, also dachte ich einfach, ich frag ihn mal. Er hat sich ein paar Freiheiten mit der Tonhöhe und den Stimmungen der Erzählparts herausgenommen, was am Ende etwas viel besseres ergab, als ich mir je hätte vorstellen können, schwankend zwischen Gottgleichem und Schizophrenie. Ziemlich zufriedenstellend. Wir haben versucht, die Rolle noch mal in "To The Wolves..." einzuführen, aber abhängig von den Zeitplänen kam kein gemeinsamer Termin zustande. Abgesehen davon, glaube ich nicht, dass DOUGLAS Pläne hat, irgendetwas mit irgendjemandem zusammen zu machen, zumindest für eine Weile nicht, aber es wäre lustig, ihn für eine richtige Leinwand-Rolle zu bekommen. Vielleicht so ein Polizeikumpanen-Streifen, in dem DOUGLAS die Rolle eines altgedienten Cops an seinem letzten Tag vor dem Ruhestand übernehmen würde und JERRY ADAMS wäre dann der smarte, coole Neuling, der nicht nach den Regeln spielt. Dazu gäbe es einen Killer Soundtrack.



Und noch eine Frage, die bestimmt noch niemand gestellt hat. Wie kommst Du darauf, in einem Land, in dem es keine Umlaute gibt, ausgerechnet einen moniker mit einem Umlaut zu wählen??

Kein Kömmentar.



 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Eskimo Films
» Thomas Nöla et Son Orchestre @ MySpace
» Eskimo Films @ MySpace
» Punch:-Records
» Punch:-Records @ MySpace
» Thomas Nöla @ IMDb

Themenbezogene Artikel:
» THOMAS NÖLA: The Rose-Tinted Monocle
» THOMAS NÖLA ET SON ORCHESTRE
» Dustmuffin & The Aluminum Cans


Anzeige:
Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln ausschließlich die Meinung des jeweiligen Verfassers bzw. Interviewpartners wieder. Nachdruck (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung durch den Betreiber dieser Seite.
Link-Code zu diesem Artikel:
Wöchentliche Artikelübersicht per Mail
Werde NONPOP- Redakteur...
» Diesen Artikel bewerten
» Kommentar zum Artikel verfassen
NONPOP RADIO
Nonpop Radio starten:

Hier Popup
Ebay- Angebote zum Thema:
nöla