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Roy L.
THOMAS NÖLA - A WOLF AMONGST MEN...
"sounds like fun"
Kategorie: Spezial
Wörter: 1167
Erstellt:
27.10.2007
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THOMAS NÖLA ET SON ORCHESTRE: ¡Vanity Is A Sin!

Wer an den Sonntagnachmittagen des Lebens zu viel Zeit auf einen lähmenden Müßiggang verwendet, der fragt sich vielleicht auch manchmal, wie Neofolk wohl Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ausgesehen und geklungen hätte, was für Lieder "unsere Helden" damals am Lagerfeuer geträllert, welche Halbgötter sie ikonisiert hätten und überhaupt, wie das so gewesen wäre. Nun ist neulich über PUNCH:-RECORDS der zweite große musikalische Wurf des amerikanischen Independent-Regisseurs THOMAS NÖLA erschienen und ich könnte mich ganz einfach so kurz wie möglich fassen und schreiben: genau so wäre es gewesen! Jeder hätte dann wahrscheinlich eine grobe Vorstellung und mir bliebe ein wenig der Spaß an der Freude erspart. Aber das würde natürlich andererseits wieder nicht den hohen NONPOP-Ansprüchen gerecht werden und deswegen fahren wir jetzt in einem gänzlich ironiefreien Ton fort: Also, THOMAS NÖLA hat ein neues Album vorgelegt, das hatte ich ja bereits erwähnt. Um Eitelkeit und Sünde geht es. Man braucht nur einen Blick auf die verführerisch dekadenten Photographien im Begleitheft zu werfen. Ein Wanderzirkus der Eitelkeiten ist das - barbusige Cellistinnen mit Vogelkäfig, traurige Spieglein-Spieglein-an-der-Wand Schönheiten ohne Vogelkäfig, kleine spanische Herren mit altmodischen Hüten und ernster Miene, seltsame Italo-Amerikaner, die in stilecht faschistischer Pose vom Balkon grüßen, anachronistische Dandys, denen der Independentkino-Ruhm zu Kopf gestiegen ist. Schade, dass sich die Neofolk-Fraktion heutzutage nur noch selten so gut in Szene setzen kann, wie es THOMAS NÖLA und sein Orchester hier tun, obwohl die ja nun per definitionem gar keine Neofolker sind. Oder etwa doch? Wer mit NÖLAs erstem Album "So Long, Lale Andersen" einigermaßen vertraut ist, wird wissen, dass der stämmige Amerikaner eine Schwäche für die "gute, alte Zeit" hat. Auch "Vanity Is A Sin!" lässt sich ganz ähnlich als eine Zeitreiseangelegenheit aufschlüsseln. Man denke sich einfach eine Handvoll Musiker, die mit ein paar elektronischen Hilfsmitteln ausgestattet in die Zwanziger Jahre versetzt werden und den dortigen Zeitgeist aufschnappen. Allerdings handelt es sich bei diesen Musikern nicht um Fachidioten, die frisch vom Konservatorium gekommen "Zurück in die Zukunft" spielen, sondern um richtig schräge Vögel und Amateurdilettanten. Wir wagen zu erklärenden Zwecken eine einfache Gleichung hervorzukramen: (Art Nouveau + Lo-Fi Psychedelia + Ragtime-Amerika - HipHop-Amerika) · People Who Can't = Vanity is a sin! So einfach ist es natürlich nicht, aber die Mathematik hat etwas unheimlich Beruhigendes an sich, sagt man. Es sollte darüber hinaus auch gesagt sein, dass sich NÖLA auf diesem Album gewissermaßen als düsterer Songwriter entdeckt hat. Waren es bei "So Long, Lale Andersen" nur kurze Tanzflächenausflüge, die die Stimmung im anachronistischen Klanglabor etwas aufgelockert haben, so ist "Vanity Is A Sin!" doch schon eher ein unzeitgemäßes Liederbuch geworden, wie man es vielleicht bei alten Leuten auf dem Dachboden finden würde. Natürlich haben die Lieder darin wieder einen charmant verqueren Cabaret-Einschlag und erinnern wehmütig an BADALAMENTIs grandiose "Twin Peaks"-Zeiten, aber sie schleppen sich diesmal auch ein Stückweit bis in die Fünfziger. Man vernimmt etwas Swing und frühen Rock'n'Roll, ein bisschen Country, Americana, fast schon richtigen "white nigger" Bluegrass. Und dann sollte man sich stets vor Augen halten, wie hätte das bei DEATH IN JUNE geklungen!? Denn im Grunde sind THOMAS NÖLA und seine Mitverschwörer verkappte "Sons of Europe", ehemals schwule Nazis, die Blut und Ehre gegen ein Engagement am Broadway eingetauscht haben und alles nicht mehr so furchtbar eng sehen. Dann gibt es auch eine Passage von drei, vier Stücken - von "Tierlexikon" bis "Bei mir bist du schön" in etwa - in der NÖLAs Stimme plötzlich wie die von DOUGLAS klingt (besonders wenn er deutsch singt) und der Heilige! Geist einer LP wie "Wall Of Sacrifice" oder "The World That Summer" spürbar anwesend ist, auch wenn er sich das Studio mit der "Brigada Budoucnost", JODOROWSKY und ROY ORBISON teilen muss. Es ist, um es etwas zusammenfassen, insgesamt vielleicht so, als würde im Raum die schwere "first you take a heart then you tear it apart"-Atmosphäre schweben und NÖLA würde das ganze dann mit einem leichtfertig amerikanischen "sure, sounds like fun" kommentieren. Aber es gibt natürlich auch ernsthafte und ernste Momente auf "Vanity Is A Sin!". Die Gitarren-und-Cello Ballade "Children In The Fall" reißt einen in ein schwermütiges, kaltgraues Novembertal herab, Depressionen und Selbstmordgefahr inklusive. Bei "Sunday With Jacky" handelt es sich dagegen um eine "Coverversion" eines Liedes, das ursprünglich von ET SON ORCHESTRE-Schlagzeuger TONY PRIMAVERA für dessen eigenes Projekt THE CAN'T geschrieben wurde und einem kürzlich verstorbenen Freund (die ehemals zweite Hälfte von THE CAN'T) gewidmet ist. Ein grundehrlicher und todtrauriger Song über Heroin und unbezahlte Rechnungen, fast ein wenig KEROUAC, der Kehrreim sagt schon alles: "Sunday with Jacky in Denton, wishing that things were different...". Das düster-loungige "Mis Mil Sueños de la Bruja" hat dazu schon etwas naturgemäß Trauriges an sich, einfach weil die Spanier von Ô PARADIS und COMANDO SUZIE, die hier nicht nur im Hintergrund zu hören sind, ihre ganzen Erfahrungen als Berufsmelancholiker einbringen. Insgesamt zeigt sich die zweite Hälfte des Albums auch deutlich tiefgründiger und ausgereifter. Das nahezu siebenminütige Titelstück stellt dabei den musikalischen Glanzpunkt der Veröffentlichung dar, ein treibender Stakkatosong in großartig bedrückender "Asphalt Cowboy"-Atmosphäre. Weil sich sein Orchester im Großen und Ganzen doch eher zurückhält und THOMAS NÖLA letztendlich die wesentlichen Parts des Albums selbst eingespielt hat, ist "Vanity Is A Sin" selbstverständlich auch ein ganz exzentrisches Werk. Man darf vielleicht sogar so weit gehen und behaupten, dass im Augenblick niemand auch nur annähernd so klingt wie NÖLA, aber das liegt vielleicht auch eher daran, dass einfach kein anderer Musiker an einem verrückten Parallelwelt-Neuengland des frühen zwanzigsten Jahrhunderts interessiert ist. Wir sind es allerdings schon und deswegen ist "Vanity Is A Sin" momentan schlichtweg unerlässlich und im Plattenschrank direkt neben frühen NOVÝ SVET, DEATH IN JUNE, NICK CAVE, ELVIS, PETER ALEXANDER und LALE ANDERSEN zu platzieren. Am besten also gleich mehrmals kaufen, dann sollte sich das mit dem Platzieren einrichten lassen. Als "Bonus" befinden sich auf der CD neben den Liedtexten übrigens noch sechs zusätzliche Stücke im mp3-Format, die abgesehen von der psych-rockigen Live-Improvisation von "Bei mir bist du schön" so erwähnenswert wie eine Fußnote im Tierlexikon sind. Den angemesseneren Bonus sollte man sich lieber selbst beschaffen - eine teure Flasche "German Wine", guter Jahrgang, versteht sich.
Titel: 01. Is Vanity A Sin? 02. Iron Gate 03. Tierlexikon 04. The Clown Is Dead 05. Balaustine 06. Bei mir bist du schön 07. Children In The Fall 08. Intermezzo di Paganini 09. Sunday With Jacky 10. Mis Mil Sueños de la Bruja 11. One Step Up To Heaven 12. You See Its Fingernails 13. ¡Vanity Is A Sin! 14. In The Poppy Fields
55min
Multimedia-Track enthält Liedtexte und folgende mp3:
01. The Edison Elephant 02. John Singleton Copley 03. Henry Pelham (Live in Brooklyn) 04. The Crumbs Are The Cure (Live in Leipzig) 05. Bei mir bist du schön…Reprise (Live in Providence) 06. Raab 07. Tierlexikon (Acoustic English version)
Enhanced-CD | September 2007 Punch:-Records | PUNCH 023 | Jewelcase + 16seitiges Beiheft

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Verweise zum Artikel:
» Eskimo Films
» Thomas Nöla et Son Orchestre @ MySpace
» Eskimo Films @ MySpace
» Punch:-Records
» Punch:-Records @ MySpace
» Thomas Nöla @ IMDb
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