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Dominik T.

DRIEU LA ROCHELLE Autorenporträt

Die schöne Geste des Untergangs– ein faschistischer Décadent


DRIEU LA ROCHELLE Autorenporträt
Kategorie: Vorschau
Wörter: 1811
Erstellt: 02.03.2007
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Drieu erkennt, daß in Europa alle Hegemoniepläne zum Scheitern verurteilt sind. Europa kann sich nur auf der Basis völliger Gleichberechtigung aller Nationen und der Berücksichtigung regionaler Eigenheiten zusammenschließen und so seine alte Stellung wiedererobern. Die Eliten müssen die Europaidee propagieren, weil die Massen im Chauvinismus dahindämmern. In dem späten Schauspiel „Le chef“ von 1944 heißt es: „… angesichts dieses Blockes, unseres Europas, werden Asien, Amerika und Afrika Staub sein …“. Diese Einigung ist für Drieu nur möglich durch die entschiedene Modernisierungspolitik eines dynamischen Reformkapitalismus.
Dieser Kapitalismus ist für Drieu das Werk von „chefs“, von Managern und Technokraten, die aus den Oberklassen, den Mittelschichten, sogar aus dem Proletariat stammen – die alle jenseits des alten Besitzbürgertums stehen. Noch läßt sich diese Elite von den überholten Ideologien fesseln: vom Liberalismus, vom Reformismus, vom rechtskonservativen Nationalismus. Noch ist sie nicht fähig, die Industriezivilisation mit der ihr zugehörigen, egalisierenden Sozialpolitik aufzubauen und so den Kommunismus zurückzudrängen, den Drieu als den barbarischen Erben des Kapitalismus ansieht. Nur diese Kader der industriellen Revolution sind dazu fähig: jenseits von Zollschranken, von Demokratismus, vom Bolschewismus – einem von Intellektuellen ausgebeuteten Pöbelaufstand – und vom Reformismus, der die Produktionsethik und den Kampfeswillen der Arbeiterklasse zersetzt. Viele Elemente der zwanzig bis vierzig Jahre später entstehenden Theorien über die Industriegesellschaft sind hier versammelt; eine extrem idealisierte EWG wird in diesen Texten dargestellt, und Burnhams „Revolution der Manager“ ist vorweggenommen, wenn Drieu den Bolschewismus, den Faschismus und den „Fordismus“ als je verschiedene Antworten auf die industrielle Herausforderung versteht.
Zugleich kündigt sich aber in diesen Arbeiten schon der Faschismus an. Man vergißt heute, daß der Faschismus – nicht der Nationalsozialismus! – von Männern mit technokratisch-planerischen Ambitionen, oft Renegaten der Linken, erbaut wurde: Mosley, der Keynesianer, kam aus der Labour-Party; Déat und Doriot von den französischen Sozialisten und Kommunisten; Mussolini aus dem Vorkriegsmarxismus; Hendrik de Man, der belgische Kollaborateur, aus dem Reformismus. Die Unfähigkeit des Kapitalismus ist hier immer der Ausgangspunkt, und das Heilmittel ist immer der große Plan.
Drieus Ideen sind aber verbunden mit der für den Linksfaschismus typischen Frontstellung gegen alle: gegen die konservativen Eliten, gegen die Besitzbürger, gegen die Mittelschichten, gegen den Reformismus, gegen den Kommunismus. Deshalb ist die realpolitische Korrumpierung dieses ortlosen Konzepts zwangsläufig; es kann nur münden im Kult des Führers, der Aktion, der Dynamik an sich.
Im Januar 1934 besucht Drieu Deutschland, dessen Energie ihn ängstigt und anzieht. Kann Frankreich einem zur moralischen Regeneration bereiten Deutschland widerstehen? Anfang Februar 1934 gerät er in Paris in die von Rechten initiierten Straßenkämpfe gegen die Republik, an denen auch Kommunisten teilnehmen. Die „Jugend von rechts“ und die „Jugend von links“ kommt zusammen, der mystische Augenblick von Charleroi kehrt wieder, Frankreich, aus „Altersschwäche, Habgier und Scheinheiligkeit“ zusammengesetzt, wankt.
Während der tagelang andauernden Unruhen versucht Drieu ohne Erfolg, die Anhänger seines Freundes Bergery aufzustacheln, eines radikal-sozialistischen Abgeordneten, der 1933 seine Partei verlassen hat und eine antifaschistische „front commun“ (Einheitsfront) gründete. Wie Jacques Doriot, der bald darauf die KP verläßt, wird auch Bergery später Faschist: der französische Faschismus besaß auch noch andere Führer, die in ihren Anfängen die entschiedene antifaschistische Aktion forderten und deshalb in Konflikt mit ihrer Partei gerieten. Ein paar Monate danach schließt sich Drieu dem Kreis um Bertrand de Jouvenel an, dem späteren Nestor der französischen Politikwissenschaft und damaligen faschistischen Theoretiker. Noch Ende 1934 schreibt Drieu seinen Essayband „Socialisme fasciste“ und wiederholt seine technokratischen ordnungspolitischen Ideen, ohne die Frage zu stellen, wie diese sich mit der geforderten Aktionsdynamik vertrügen:
„Wir schlagen uns weder für die Diktatur des Proletariats noch für die von rechts. Wir kämpfen nicht für die patriotischen Kapitalisten, die sich nicht um uns kümmern. Wir kämpfen nicht für die Kommunisten, die wie Papisten leben – mit dem Geheimnis von Befehlen, die von weit her kommen … Wir kämpfen nicht für dies oder jenes. Wir schlagen uns gegen alle: Das ist der Sinn des Faschismus!“
Die Gruppe um de Jouvenel, deren Zeitschrift bezeichnenderweise „La lutte des jeunes – Der Kampf der Jungen“ heißt, zerfällt rasch. Doch Drieu ist überzeugt: der Faschismus ist die einzig mögliche Form eines gesamteuropäischen Sozialismus. Die totalitäre Staatspartei, mittels Wirtschaftslenkung und Sozialpolitik den Klassenkampf beendend, schafft eher eine neue Form des Zusammenlebens als die verbrauchte Arbeiterklasse. Drieu ahnt, daß die industrielle Weltzivilisation, durch seinen faschistischen Sozialismus herbeigezwungen, ein Reich der Langeweile und der Bürokratie sein könnte: die Kampfinstinkte könnten endgültig verschwinden. Aber zunächst ist er fasziniert. Nicht nur vom Plan, sondern auch vom Barbarismus, vom „Menschentyp der Umbruchzeit“, vom „hitlérien“.
September 1935 besucht er den Reichsparteitag: „Was ich sah, übertrifft alles, was ich erwartete. Es war berauschend und schrecklich. Die Zukunft wird keine Ruhe bringen. Unmöglich, daß Frankreich weiterhin untätig vor sich hinlebt. Der Vorbeimarsch der ganz in Schwarz gekleideten Elitetruppen war von hochmütiger Pracht. Ich sah nichts Vergleichbares an artistischer Emotion seit den russischen Balletten. Dieses Volk ist trunken von Musik und Tanz.“
Soll Deutschland das faschistische Europa führen? Auch wegen dieser Gefahr muß Frankreich ein kraftvoller faschistischer Staat werden. Drieu hofft auf Jacques Doriot, den Bürgermeister von Saint-Denis, der mit seinem 1936 gegründeten „Parti Populaire Français“ große Anfangserfolge erringt und die Unzufriedenen der Rechten und Linken ebenso um sich sammelt wie eine Reihe illustrer Intellektueller und Künstler: den Medizin-Nobelpreisträger Alexis Carrel, de Jouvenel, Fabre-Luce, Marcel Jouhandeau, Brasillach, Rébatet, Céline, den Historiker Pierre Gaxotte. Das radikale sozialpolitische Programm dieser Bewegung, ihr Aktionismus und die Chance, durch ihre Energie die Energie Hitlers von Frankreich ab- und gegen die Sowjetunion zu lenken, machen Drieu zu ihrem Propagandisten. Faschismus als Erlösung zum „Neuen Menschen“: Drieu fordert eine „Reform der Sitten“, eine Erneuerung des Franzosen, der, unter dem Einfluß von Rationalismus und Reformsozialismus, genußsüchtig, körperlich schlaff, einseitig intellektuell geworden ist, der seine Leib-Seele-Einheit und seine ursprüngliche Vitalität verloren hat. Mit dithyrambischem Schwung, der Drieus Verzweiflung ahnen läßt, begrüßt er die Gründungsversammlung des PPF in Saint-Denis im Juni 1936.
Aber schon 1938 verläßt Drieu enttäuscht die auseinanderfallende Bewegung, 1939 eilt er zur Armee, wird aber wegen seines Gesundheitszustandes abgelehnt. Der schon im Juni 1940 entschiedene Waffengang macht Drieu zum leidenschaftlichen Kollaborateur. Die anachronistisch gewordene, von Drieu gehaßte, bürgerliche Kultur Frankreichs wurde zermalmt. Frankreich hatte die Revolution des 20. Jahrhunderts verpaßt. Und rissen die deutschen Armeen nicht überall die Grenzen nieder?
Schon im Herbst 1940 versucht Drieu, den deutschen Botschafter Otto Abetz zur Gründung einer faschistischen Einheitspartei zu bewegen: eine vergebliche Hoffnung, die Drieu bis Mitte 1942 hegte. Bis dahin feiert er, in der „Nouvelle Revue Française“, die Kraft des Nationalsozialismus und verhöhnt die Schlappheit Frankreichs, dessen strategische Stupidität, dessen zurückgebliebene Technik und dessen Bourgeoisie, die so dumm ist, daß sie den Sieg Stalins herbeisehnt. Frankreich hat nur noch eine Chance: dem deutschen Weg der Vitalisierung und Modernisierung zu folgen.
Drieu wurde Opfer seines Denkens in geschichtsphilosophischen Konstruktionen und kulturkritischen Räsonnements. Die Verbrechen der Nationalsozialisten interessieren ihn nicht. Ihn interessiert nur die Entladung von physisch-militärischer Kraft und politischer Verwegenheit. Der Nationalsozialismus ist die Woge, die die Dämme einer philiströsen, genußsüchtigen, feminisierten Welt zertrümmert, einer Welt, der Drieu süchtig verfallen ist. Was bedeuten die Ermordung von Millionen – und Drieu weiß davon –, wenn unter den Frontkämpfern der Waffen-SS, in der immer mehr Europäer dienen, ein neuer Mensch heraufkommt – ein neuer Mensch, der auch den Grundstein legt zu einem noch fernen europäischen Humanismus, zu einem Traum jenseits des Traums?
Immer wieder drängt Drieu auf die Gründung einer autonomen faschistischen Partei sozialrevolutionären Zuschnitts, die auch fähig sein muß, die Kommunisten zu integrieren. Als Doriots Partei im November 1942 diesen Anspruch stellt, weiß Drieu, der sich ihr wieder anschließt, daß es zu spät ist. Doriots Vollmachten sind gering. Nach Rommels Niederlage bei El Alamein ist für Drieu der Krieg entschieden. Die Schuld trägt für ihn der Nationalsozialismus, der seine Mission nicht erkannte. Die Nationalsozialisten haben mit den alten Eliten paktiert. Sie haben sterile Okkupationspolitik betrieben, sie vergaßen, daß „Faschismus“ nur ein anderes Wort ist für „Sozialismus des 20. Jahrhunderts“. Ihr einziges Verdienst ist es vielleicht, dem Kommunismus den Weg bereitet zu haben, auf daß dieser der Bourgeoisie endgültig den Garaus mache. Die notwendige deutsche Politik hätte sich ausdrücken müssen in der „Vermeidung jeder Haltung, die auch nur von ferne an die Politik militärischer Eroberung, diplomatischer Siege und des Hamsterns erinnerte. Sie hätte überall die nationale Autonomie im politischen und administrativen Bereich respektieren müssen.
Sie hätte keine Annexionen herkömmlicher Art vornehmen dürfen. Sie hätte die Kriegsgefangenen freilassen und die Waffe des Plebiszits benutzen müssen, um mit den Völkern direkte Friedensverträge zu schließen, Das deutsche Heer hätte als europäische Armee proklamiert werden und die Waffen-SS der Kern und Begegnungspunkt der kriegerischen europäischen Jugend werden müssen. „Diese Heere würden keine europäischen Territorien ohne ein Mandat der europäischen Gemeinschaft besetzt haben.“
Die Illusion, daß dies möglich gewesen wäre, zeigt die Differenz zwischen dem Faschismus der Intelligenz romanischer Länder und dem Nationalsozialismus an. Hier die Feier und die Bereitschaft zu Gewalt und Terror. Dort aber die Ausrottung und Knechtung von Millionen mit bürokratischen Methoden. Daß die Nationalsozialisten Drieus Traum nicht verwirklichten, hatte, was ihm entging, weniger mit ihrem Verrat zu tun als mit dem Wesen des Hitlerregimes selbst, das nicht nur einem Drieu, sondern sogar einem Mussolini fremd blieb.
Im romanischen Faschismus gab es immerhin noch die Tendenz, den Feind zu achten, wenn es ihm gelang, seine Eigenheit herauszustellen, sich in seinem radikalen Sein zu präsentieren. Hier gab es noch die Brüderschaft der Kämpfer, wie sie der Frontsoldat kennt. Der Nationalsozialismus jedoch endete im grenzenlosen Haß, der einem Drieu fremd, ja verächtlich war.
Hitlers Niederlage aber bedeutete die endgültige Zweitklassigkeit Europas und die Wiederkehr der Dekadenz. Vielleicht aber würde auch der Faschismus wiederkehren – als Stil, Erregung und Haltung? Und verkörpert in der Résistance? Doch die Ekstase von Charleroi würde er nicht noch einmal erleben können.
In einem Versteck arbeitet Drieu bis Silvester 1944 an einem völlig unpolitischen Roman, dem Van Goghs Leben als Material dient („Dirk Raspe“), danach noch an Notizen, in denen er die kommunistische Deutung des Faschismus kritisiert und dessen sozialrevolutionäre Ursprünge verdeutlicht. Der Träumer und der Diagnostiker, der spielerisch-dekadente Genießer und der Frontsoldat, der Romancier und der Zyniker der Macht: mit völliger Klarsicht ging Drieu in den Tod, so wie er sich schon mit Klarsicht im „Gilles“ porträtierte, als dieser ausruft: „Man muß seine Leidenschaften zur Wirkung bringen und nichts anderes. Im Hinblick auf die Vernunft ist das Resultat immer verheerend.“



Verweise:

Interview mit Günter Maschke: Die Lüge vom ewigen Krieg für ewigen Frieden.
Interview mit Günter Mascke II: Mit der Jugend wurde damals diskutiert
Interview mit Günter Maschke III: Die Deutschen werden zu Vasallen der USA ohne Lohn
Eberhard Straub zum 60. Geburtstag von Günter Maschke: "Der Feind ist gar nicht verschwunden"

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Drieu La Rochelle, französische Seite
"Über die Darstellung von Gewalt und Tod bei Pierre Drieu La Rochelle" - Dissertation (Sprachwissenschaft Universität Hamburg) als pdf file






 
Dominik T. für nonpop.de



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