Am Südrand des Westerwaldes liegt die beschauliche Fürstenstadt Hadamar, die, ein wenig vergessen, im Schatten von Limburg liegt und nur von jenen aufgesucht wird, deren Weg gezielt dorthin führt. Mit knapp 13.000 Einwohnern geht es ruhig und beschaulich im Ort zu, meist grau und trüb, nebelverhangen im Wechselspiel von Fachwerk und Wald, wirkt die Zeit mitunter wie stehen geblieben. In manchen Gassen mag es heute nicht anders aussehen als im Jahr 1851, in jenem Jahr, in dem der wohl berühmteste und auch – zumindest aus dem Blickwinkel jener Zeit – berüchtigtste Sohn der Stadt geboren wurde: Karl Wilhelm Diefenbach.
Stößt man jenseits von Fidus auf den Namen Diefenbach, dann begegnet er einem zumeist als Aussteiger und Lebensreformer, der durch seinen Lebenswandel sowohl die Hippiezeit als auch die Bewegung der radikalen Ökologie vorweggenommen hat. Für Diefenbach wurde der nicht gerade als Kompliment gemeinte Begriff des „Kohlrabi-Apostels“ geprägt; pflegte dieser sich doch streng vegetarisch zu ernähren und sah das christliche Gebot „Du sollst nicht töten“ auch für das gesamte Tierreich als gültig an. Diese Deutung ist symptomatisch für das, was ihn durchweg von der egalitären Hippie-Bewegung unterschied: Diefenbach glaubte durchaus an die Hierarchie und natürlich stand er an der Spitze; seine Rolle innerhalb der von ihm ins Leben gerufenen Kommune ist die eines Propheten und Meisters, dessen Wort Gesetz ist. Diefenbachs Werk war voller Prophetie und künstlerische Manifestation einer alternativ-religiösen Gesetzgebung. Man stritt nicht um Inhalt und Botschaft, denn durch seine Hand wirkte das Göttliche selbst; wer daran zweifelte, der hatte einen schweren Stand in der Gefolgschaft des Meisters und musste mit dem Ausschluss rechnen. Dabei ist jedoch Diefenbach kein grausamer Patriarch gewesen; er war vielmehr kompromisslos in seinem Ideal, der strenge, aber dennoch gutmütige und wohlwollende Vater der Gemeinschaft. Will man Diefenbachs Schaffen in Augenschein nehmen, so muss man seinen Besuch in Hadamar gut planen. Lediglich von 14 - 16 Uhr hat das Stadtmuseum geöffnet. So sehr man sich darüber freuen muss, dass ein Ausnahmekünstler wie Diefenbach die Gunst einer Dauerausstellung in einem offiziellen Rahmen erfährt, so sehr trübt die Umsetzung darüber, wenn der Besucher feststellt, dass das theoretisch dort erhältliche Buch über Diefenbach schon seit Monaten nicht mehr erhältlich ist, die einzige Museumsmitarbeiterin vor Ort nahezu nichts über Diefenbach weiß. Wer hier Orientierung sucht, der ist verloren, das Wissen muss man mitbringen. Umso mehr sei dazu aufgerufen, dieses Museum zu besuchen und zu zeigen, dass Diefenbach nicht vergessen ist. Nach längeren Diskussionen überreicht die Museumsangestellte uns schließlich die Adresse des Stadtarchivars, der vielleicht mehr Fragen beantworten könne, aber bedauerlicherweise am Tag des Museumsbesuches nicht mehr telefonisch zu erreichen war. Betritt man das spärlich beleuchtete Stadtmuseum, schreitet man zunächst an den Werken des Silhouettenkünstlers Ernst Moritz Engert vorbei. Zugegebenerweise wenig achtsam an zahllosen gläsernen Vitrinen vorbeischreitend, eröffnet sich ein noch schlechter beleuchtetes Treppenhaus, in dem ein Wegweiser schließlich zum „Diefenbach-Saal“ den Weg hinauf weist. Das Treppenhaus auf halbem Wege zeigt dann schon die ersten Diefenbach-Bilder. Das Dachgeschoss des Stadtmuseums offenbart sich schließlich als absolute Schatzkammer; unterhalb der Schrägen und der rustikalen Balken steht das wohl berühmteste Werk Diefenbachs, „Per Aspera Ad Astra“. „Per Aspera Ad Astra“ ist mit normalen Maßstäben kaum fassbar; der Fries misst insgesamt 68 Meter und steht somit Rücken an Rücken in den beengten Dachgeschossräumen. Das erste Motiv zeigt die Silhouette Diefenbachs, ein Kind in seinen Armen; die künstlerische Projektion seiner realen lebensreformerischen Kommune macht sich auf rauhen Bahnen auf zu den Sternen. Die opulente Darstellung des Erlösungsweges wird zum Glaubensbekenntnis Diefenbachs; die Schöpfung in ihrer Gesamtheit zieht hin zum sinnstiftenden Mysterium der Sphinx; Tier und Mensch sind sich ebenbürtig auf der fröhlichen Prozession. Ein paradiesischer Urzustand, in dem der Löwe weder Bedrohung noch Jagdopfer wird. Er wird zur Trägerin der Harfenspielerin und schreitet mit stolzem Haupt voran; keine Kette die ihn lenkt, kein Wagen den er zieht. Fasziniert schreitet man die 68 Meter ab und verliert sich in den spielerischen Details des Zuges; man erblickt das Ideal der Lebensreform, eine spirituelle Prozession oder die kindliche Naivität des Paradieses – die Symbolik Diefenbachs funktioniert universell und jeder kann sich im Zug der Suchenden und Findenden wiederfinden. Ein Zitat aus Diefenbachs Begleittext zu PER ASPERA AD ASTRA beschreibt das Glaubensbekenntnis der Diefenbach-Gemeinschaft: „Wir haben gefunden den Tempel HUMANITAS,
Hermann Müller – Meister Diefenbachs Alpenwanderung (Umbruch Verlag, 2009) Ulrich Holbein – Drum-Tao Wind ins Winterland!/Diefenbach/Nagel/Gräser (Der Grüne Zweig) Stefan König – Alpenwanderer (Tyrolia, 2009)
Thomas L. für nonpop.de
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