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Endsal

PRURIENT: Frozen Niagara Falls

Many jewels surround the crown ...


PRURIENT: Frozen Niagara Falls
Genre: Post Industrial
Verlag: Profound...
Vertrieb: Profound...
Erscheinungsdatum:
12. Mai 2015
Medium: 2xCD
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DOMINICK FERNOWs ambitioniertes Projekt PRURIENT bedarf wohl keiner langwierigen Einführungen, schließlich betreibt der Mann hinter HOSPITAL PRODUCTIONS es bereits seit Ende der 90er-Jahre mit stetig wachsendem Erfolg und hat in dieser Zeit eine Discographie hingelegt, die alleine bei DISCOGS derzeit stattliche 137 (!) Titel umfasst. Stellt man zusätzlich noch all jene Veröffentlichungen in Rechnung, die FERNOW in den letzten Jahren unter einer schillernden Vielzahl von Pseudonymen wie VATICAN SHADOW, CHRISTIAN COSMOS, EXPLORING JEZEBEL oder RAINFOREST SPIRITUAL ENSLAVEMENT unters Volk gebracht hat, so kommt man schwerlich umhin, eine gewisse Tendenz zum Exzessiven, Obsessiven, bis hin zum – negativ konnotiert – Inflationären zu diagnostizieren. Positiv gewendet mag man das manische Kreativität und/oder überbordenden Schaffensdrang nennen, doch macht sich in den letzten Jahren – insbesondere hinsichtlich FERNOWs jüngstem alter ego VATICAN SHADOW, mit dem er nach knapp fünf Jahren bereits auf über dreißig (!!) Veröffentlichungen kommt – langsam aber stetig eine gewisse Redundanz bemerkbar. Die Gefahr leichter Ermüdungserscheinungen beim Publikum und in der Folge erhöhte Vorsicht und Bedachtsamkeit, wenn es um den käuflichen Erwerb FERNOW'scher Tonträger geht, scheint gegeben, schließlich will man nicht ein- und denselben, ewig wiederkehrenden Krempel in x-facher Ausführung mit variierender Betitelung und Covergestaltung im Regal stehen haben. Irgendwann hat selbst der eingefleischteste Fan die Faxen dicke. Sollte man meinen.

Während sich PRURIENT zu einem der weltweit respektiertesten und über die Grenzen der einschlägigen Szene hinaus bekannten Noiseact gemausert hat, entdeckte der ehemalige Wahl-New-Yorker und temporäre COLD CAVE-Knöpfchendreher FERNOW, der mittlerweile übrigens in L.A. residiert, seine Liebe zu Techno und sonstiger tanzflächenkompatibler Elektronik, die er seitdem zwar primär als VATICAN SHADOW auslebt, nichtsdestoweniger aber auch in die stilistische Evolution seiner zentralen künstlerischen Tummelwiese PRURIENT einbrachte und -bringt. Dies führte, insbesondere in jüngerer Vergangenheit, zu einem kontinuierlich steigenden Anteil an Beatstrukturen, sphärischen Sequenzen und Synthieloops im Sound des Projektes, das bis dahin ziemlich ausschließlich für – denkt man an frühe Alben wie "The History Of AIDS" oder "Troubled Sleep" – kompromisslose PE-Noise-Distortion-Orgien mit einer ganz eigenen, unverwechselbaren Note stand. Entsprechend griff denn auch mittelschweres Befremden in den Reihen orthodoxer Noise-/PE-Fundamentalisten um sich: der altbewährte Vorwurf mainstreamanbiedernden Ausverkaufs wurde laut und manch einer wandte PRURIENT in der Folge naserümpfend den Rücken zu. Dass das technoid-noisige Soundkonglomerat, zu dem FERNOW den PRURIENT-Sound peu à peu umgearbeitet hat, im Grunde deutlich komplexer tönte als der vergleichsweise monotone Vintage-Techno, für den VATICAN SHADOW steht, war bzw. ist für Puristen dieser Couleur freilich von untergeordneter Bedeutung.

Denn auch auf die Gefahr hin, tumber Ignoranz gescholten zu werden, ändert nach Ansicht des Rezensenten die implizite Verneigung vor BRYN JONES' MUSLIMGAUZE nebst Variationen auf dessen Nahost-Konflikt-Topoi unter neuen, nämlich "Post-9/11"-Vorzeichen, die sich insbesondere in Titelgebung und Coverartwork von VATICAN SHADOW niederschlagen, nichts an einer gewissen musikalischen Substanzarmut, die obendrein durch die inflationäre Veröffentlichungspolitik noch nach Kräften betont wird. Im Unterschied dazu kamen und kommen bei PRURIENT technoide neben diversen anderen Versatzstücken zum Tragen und verengen den vielschichtigen Gesamteindruck niemals einseitig in Richtung einer stilistischen Festschreibung. Diese Tendenz zu ebenso ausgeprägtem wie wohltemperiertem Soundeklektizismus charakterisiert die jüngeren Veröffentlichungen insbesondere seit dem 2011er Album "Bermuda Drain" und wird von FERNOW im nunmehr vorliegenden, aktuellen Album perfektioniert. "Frozen Niagara Falls" kommt mit einer, auf zwei CDs verteilten, anderthalbstündigen Gesamtlaufzeit einigermaßen monumental daher, und man muss dem verantwortlichen – an und für sich eher auf Metal und Artverwandtes spezialisierten – Label PROFOUND LORE RECORDS zweifellos in seinem Urteil sekundieren, es handle sich hier um nichts mehr und nichts weniger als PRURIENTs Opus Magnum. Dass das Werk erst einmal zwei, drei Durchgänge brauchte, um beim Rezensenten anzukommen, seine volle Wirkung zu entfalten und endgültig zu zünden, unterstreicht seine überdurchschnittliche Qualität eher, als dass es sie zweifelhaft erscheinen ließe – nicht umsonst sagt der Volksmund: "Gut Ding will Weile haben".

Der schiere Umfang des auf "Frozen Niagara Falls" präsentierten Materials sprengt den Rahmen für eine Stück-für-Stück-Besprechung empfindlich, weshalb der Fokus auf das Album in seiner Gesamtheit gerichtet werden soll: Die stilistische Vielfalt, die hier zelebriert wird, ist beeindruckend und reicht erwartungsgemäß von technoiden, teilweise schon ins Gabbereske diffundierenden Beats über die obligatorischen Noisepassagen mit ordentlich distorted PE-Vocals, poppigen Loops, verträumten Harmonien, die sich bisweilen schon hart an der Grenze zur Cheesyness bewegen, Synthesizerflächen mit Krautrockaroma, Drone-Sounds, Black-Metal-Einschüben und Post-Rock-Sequenzen, bis hin zu veritablen Neo Folk-Passagen. Dieses schon fast verwirrenden Facettenreichtums zum Trotz gelingt es FERNOW dennoch meisterhaft, die einzelnen Fäden immer wieder zu einem kohärenten und komplexen Ganzen zusammenzuführen und zu verschweißen – am Ende muss man sich bremsen, nicht den Begriff des "Konzeptalbums" ins Spiel zu bringen, so wunderbar fügen sich die einzelnen Elemente ineinander.


Will man denn doch einige Stücke namhaft machen, so ist "Greenpoint" einer Erwähnung wert, dessen von Akustikgitarrengezupfe getragener Einstieg geradezu frappierend an frühe Stücke von SOL INVICTUS (sic!) erinnert, um im weiteren Verlauf dann einen Vintagedrall zu entwickeln, der Assoziationen zu KLAUS SCHULZE oder TANGERINE DREAM zu ihren besten Zeiten weckt. Am ungewöhnlichsten und erstaunlichsten auf diesem, an ungewöhnlichen und erstaunlichen Stücken nicht armen, Album ist allerdings wohl der Abschlusstrack "Christ Among The Broken Glass", bei dem man ernsthafte Zweifel bekommt, ob man statt der neuen PRURIENT nicht vielleicht doch ein Album von BARN OWL oder GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR hört. Was die potentiellen "Hits" betrifft, so sei zum einen auf Track No. 2, das extrem abwechslungsreiche "Dragonflies To Sew You Up" verwiesen, dessen regelrecht poppiger Impetus durch FERNOWs agonales Geschrei gelungen konterkariert wird, und in Kombination mit schmissigem Beat und treibenden Harmoniebögen Ohrwurmcharakter aufweist; zum anderen auf das deutlich härtere "Poinsettia Pills", dessen ins absolute Extrem hochgepitchte, scheppernd-grisselige Beat-Stakkatos schon fast an Gabber erinnern und zusammen mit FERNOWS infernalischem Geschrei eine kompromisslose Klatsche auf den Gehörgang abgeben. Die Vocals changieren auf dem gesamten Album zwischen mal mehr, mal weniger zerschreddertem PE-Gebrülle, wie man es traditionell von FERNOW gewohnt ist, Spoken Words in bester BOYD RICE-Tradition, black-metal-affinem Gekreische sowie dezidiert aggressivem Shouting; Gesang im eigentlichen, strengeren Sinne ist und bleibt die Ausnahme, daran hat auch der vielbeschworene – und von ihm selber im Interview eingeräumte – Einfluss, den die Zeit bei COLD CAVE auf FERNOW ausübte, nichts geändert.

Alles in allem eine rundum gelungene Werkschau, die die musikalische Genese von PRURIENT bis dato in Form eines in sich absolut stimmigen, harmonisch strukturierten und perfekt durchkomponierten Albums auf den Punkt bringt. Oder, um mit den Worten des Promotextes zu sprechen: "[T]he new PRURIENT album is set to define Fernow even more as a master within all the genres PRURIENT tends to crossover into." Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer natürlich – und das mit Emphase: Well done, Mr. FERNOW, very well done!


 
Endsal für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» PRURIENT @ discogs
» PRURIENT @ bandcamp
» HOSPITAL PRODUCTIONS-Homepage
» PROFOUND LORE-Homepage
» Frozen Niagara Falls @ PROFOUND LORE
» PRURIENT-Interview @ Tiny Mixtapes

Themenbezogene Artikel:
» AKITSA/PRURIENT: Split


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Zusammenfassung
DOMINICK FERNOW konzentriert sämtliche stilistischen Facetten seines Pojektes PRURIENT in einem quantitativ wie qualitativ überragenden Opus Magnum: bislang ausgereiftestes & stimmigstes Album, das die perfekte Balance zwischen Noise & Elektronika hält. "Frozen Niagara Falls" setzt Maßstäbe.

Inhalt
01: Myth Of Building Bridges (10:18)
02: Dragonflies To Sew You Up (5:19)
03: A Sorrow With A Braid (4:53)
04: Every Relationship Earthrise (3:14)
05: Traditional Snowfall (5:16)
06: Jester In Agony (7:15)
07: Poinsettia Pills (3:16)
08: Shoulders Of Summerstones (5:16)
09: Wildflowers (Long Hair With Stocking Cap) (00:32)
10: Greenpoint (10:10)
11: Lives Torn Apart (NYC) (3:24)
12: Frozen Niagara Falls (Portion One) (7:03)
13: Cocaine Daughter (5:01)
14: Falling Mask (1:58)
15: Frozen Niagara Falls (Portion Two) (7:19)
16: Christ Among The Broken Glass (11:22)

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