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Martin L.

LINA WERTMÜLLER- Liebe & Anarchie

Zum (fast) 80. Geburtstag


LINA WERTMÜLLER- Liebe & Anarchie
Kategorie: Vorschau
Wörter: 1751


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Diese Hommage an die italienische Filmemacherin mit der berühmten weißgerandeten Brille wollte ich rechtzeitig zu ihrem 80. Geburtstag  am 14. August bringen. Nun habe ich leider festgestellt, daß Wertmüllers Geburtsjahr 1928 statt 1926 ist, und ich mithin zwei Jahre zu früh dran bin. Va bene -  der Drang, an die Kultfilmerin zu erinnern, ist stärker. Also denn.

Geboren wurde sie in Rom unter dem vollen Namen Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg als Sprößling eines alten Schweizer Adelsgeschlechts. Sie ist also trotz ihres deutschen Namens eine waschechte Italienerin. Lina Wertmüller ist eine der wenigen profilierten Frauen unter den großen Regie-Namen der Filmgeschichte. Außer ihr fällt einem auf  Anhieb kaum eine Handvoll ein, etwa LENI RIEFENSTAHL, IDA LUPINO, AGNÈS VARDA oder MAYA DEREN. Wertmüller ist immer noch aktiv, ihr letzter Film PEPERONI RIPIENI E PESCI IN FACCIA kam 2004 raus, wurde aber in Deutschland nicht verliehen. Ihren Zenit hat die Regisseurin schon lange überschritten: es sind vor allem ihre grotesken Komödien der 70er Jahre, die ihren Ruf begründeten. Ihre Filmkarriere begann nach einem Jahrzehnt Theatererfahrung als Assistentin bei FELLINIS Meisterwerk OTTO E MEZZO ("Achteinhalb", 1963). Im selben Jahr debütierte sie mit dem Film I BASILISCHI ("Die Basilisken"), der der Tradition des Neorealismus verpflichtet war. Ein unvermeidliches Ritual, durch das fast alle italienischen Regisseure ihrer Zeit durchmussten, war, einen SPAGHETTI-WESTERN zu drehen. Unter dem Pseudonym "Nathan Wich" inszenierte sie 1967 "IL MIO CORPO PER UN POKER" ("Mein Körper für ein Pokerspiel"), den ersten "feministischen" Italo-Western. (In diesem Genre betätigten sich neben seinen Schöpfern SERGIO LEONE und SERGIO CORBUCCI auch TINTO BRASS, DAMIANO DAMIANI und CARLO LIZZANI. In Lizzanis REQUIESCANT aka KILL AND PRAY spielte sogar PIER PAOLO PASOLINI eine Rolle. Als Drehbuchautoren für Italo-Western waren unter anderem BERNARDO BERTOLUCCI und Splatter-Pionier DARIO ARGENTO aktiv).


"Die"
Wertmüller wurde sie jedoch erst wirklich mit MIMI METALLURGICO FERITO NELL'ONORE (Mimi - In seiner Ehre gekränkt, 1972). Mit dem Schauspieler GIANCARLO GIANNINI hatte sie schon 1966 in RITA LA ZANZARA zusammengearbeitet. Mit MIMI sollte jedoch die fruchtbare Kolllaboration der beiden, die zu bisher 10 Spielfilmen geführt hat, erst so richtig beginnen. "Mimi" versammelt Wertmüllers satirische Lieblingsthemen der 70er Jahre: Faschismus/Antifaschismus und das Sexualverhalten der Italiener.  Der sizilianische Metallarbeiter Mimi verliert wegen seines kommunistischen Engagements seinen Job, und muß als "Gastarbeiter" nach Norditalien gehen. Dort beginnt er eine Äffäre mit der bella intelletuale Fiore (süß & sexy: AMALIA FINOCCHIARO), der er auch bald ein Kind macht. Er wird nach Sizilien zurückversetzt, wo seine Frau inzwischen vom Wachtmeister der Finanzpolizei geschwängert wurde. "In seiner Ehre gekränkt", beschließt Mimi, Rache zu üben, und seinerseits die Frau des Polizisten zu verführen: die ist ein riesiger Büffel von einem Mannweib mit einem GEWALTIGEN Hinterteil (Wertmüller mußte dafür extra ein Arsch-Double finden), das zu besteigen sich Mimi mit süditalienischem "Luigi"-Schmalz anschickt, nach dem Aug' um Aug'-Prinzip: F***st du meine Alte, f*** ich deine Alte!
Amore, gnadenlos
Szene aus "Mimi" (1972)



"Mimi" ist eine comicstripartige, schreiend komische Politik- und Sex-Satire mit überzeichneten Charakteren und übertriebenen Kameraperspektiven im  Italo-Western-Stil. Die Darsteller, allen voran Giannini, grimassieren und outrieren, was das Zeug hät. Mit dem herrlich komischen Giannini hatte Wertmüller ihren kongenialen Star gefunden. Er verstand es perfekt,  italienische Männlichkeitskomplexe zu parodieren und der Lächerlichkeit preiszugeben. In dem nächsten Film "LIEBE UND ANARCHIE ("Film d'amore e d'anarchia", 1973) spielte er einen kauzigen, aber fanatischen Anarchisten vom Lande, der sich Anfang der Dreißiger Jahre nach Rom begibt, um MUSSOLINI zu ermorden. Mit "Liebe und Anarchie" begann Wertmüllers Tick, ihren Filmen ellenlange Titel zu geben - der volle lautet hier: "Film d'amore e d'anarchia, ovvero 'stamattina alle 10 in via dei Fiori nella nota casa di tolleranza...'" ("Film über Liebe und Anarchie, oder Heute morgen um zehn in einem bekannten Freudenhaus in der Via dei Fiori").  "Liebe und Anarchie" ist Teil einer Art Trilogie über den italienischen Faschismus, zu der noch "PASQUALINO SETTEBELLEZZE" ("Sieben Schönheiten", 1975) und (*atemhol*)  FATTO DI SANGUE FRA DUE UOMINI PER CAUSA DI UNA VEDOVA - SO SOSPETTANO MOVENTI POLITICI ("Blutfehde", 1978) zählen.


Daß "Vergangenheitsbewältigung" auch Spaß machen und politisch unkorrekt sein kann, zeigen diese drei Filme der linksorientierten Regisseurin. Wertmüller war nach dem Zweiten Weltkrieg Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens (KPI), die sie 1956 nach dem Einmarsch der Sowjets in Ungarn verließ. Bis 1978 war sie Mitglied der "Sozialistischen Partei". Stets sah sie sich als undogmatische, heimatlose Linke. Im Italien der Siebziger Jahre flammte die Auseinandersetzung mit dem Faschismus wieder auf, es gab Terrorattentate von militanten links- und rechtsradikalen Gruppierungen, Straßenschlachten und kursierende Verschwörungstheorien über die geheimen politischen Machenschaften des Staates. Regisseure wie LUCHINO VISCONTI ( GRUPPO DI FAMIGLIA IN UN INTERNO, "Gewalt und Leidenschaft", 1974), BERNARDO BERTOLUCCI (IL CONFORMISTA, "Der große Irrtum", 1970) und FEDERICO FELLINI (AMARCORD, 1973) setzten sich mit dem alten und neuen Faschismus Italiens auseinander. Klar, daß dieser auch bei der linksgerichteten Wertmüller schlecht wegkam. In "Liebe und Anarchie" wird in der Figur des Faschisten Spatoletti der machohaft-kriegerische Vitalismus der Schwarzhemden aufs Korn genommen. Der hirnlose, prahlerische Kraftprotz ist laut, geil, brutal, furzt, säuft und frißt ohne Pause, ein unbürgerlicher Aktionist, der sich darüber ärgert, daß sich das Mussolini-Regime langsam dem Bürgertum angepaßt und die alten Kämpfer vom "Marsch auf Rom" lahmgelegt hat. Der "Duce" wird von ihm bezeichnenderweise folgendermaßen anerkennend charakterisiert: "Mussolini hat einen Sack aus Leder!". Damit hat Wertmüller intuitiv erfaßt, was der renommierte Faschismus-Forscher ZEEV STERNHELL "wissenschaftlich" fixiert hat, als er hinwies auf die "Vorliebe faschistischer Satiriker für sexuelle Vorstellungen und sexuelles Vokabular (....). Es sei die Virilität des Faschisten, seine Gesundheit und pralle Energie, die ihn letztlich von den impotenten Bürgern, Liberalen und Sozialisten unterscheidet." ("Faschistische Ideologie", Verbrecher Verlag 2002).
(Der Soundtrack enthält übrigens eine Fülle faschistischer Lieder, unter anderem die von AIN SOPH in dem Song "Tutti a casa!" gesampelte Hymne GIOVINEZZA.)
Liebe & Anarchie
Im Bordell



Der durchweg komische Film endet abrupt und gewaltsam: das Attentat mißlingt natürlich und mit dem Anarchisten Tunin wird kurzer Prozeß gemacht.   In PASQUALINO SETTEBELLEZZE (1975) trieb Wertmüller die Verbindung Faschismus-Machoismus auf eine bizarre Spitze. Es ist ihr kühnstes, schockierendstes, aber auch schwarzhumorigstes Werk und ein Fixpunkt meiner persönlichen Liste der "ewig Besten". Es beginnt mit einer Montage aus Wochenschauaufnahmen von Hitler, Mussolini und dem 2. Weltkrieg, untermalt von einer jazzigen Easy-Listening-Nummer mit sarkastischem, sprechgesungenem Text. Die historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen gehen in farbige Filmszenen über: mitten im Krieg ist der neapolitanische Gauner Pasqualino (wieder Giancarlo Giannini), wegen seiner Frauengeschichten "Settebellezze" ("Sieben Schönheiten") genannt, als Deserteur auf der Flucht. Wie ein Simplicissimus des 20. Jahrhunderts irrt er durch eine chaotische Welt voller Kriegsgreuel. Bald wird er zur Melodie des "Walkürenritts" von den Deutschen aufgegriffen und in ein KZ gesteckt. In Rückblenden erzählt der Film nun seine Geschichte. Arrogant, dumm und feige, war Pasqualino ein kleiner Camorrist in Neapel, der eines Tages erfahren muß, daß der Gangster Totonno seine Schwester auf den Strich schickt. Er killt Totonno und wird schließlich von der Polizei verhaftet. Im Knast spielt er den Verrückten, der sich für Mussolini hält und wird weiter ins Irrenhaus verschickt, wo er prompt eine Mit-Insassin vergewaltigt. Bei Ausbruch des Krieges meldet er sich als Freiwilliger, um besser fliehen zu können. Schließlich führt ihn seine Odyssee in das besagte KZ, wo wir Zeuge einer makabren Neuauflage von Mimis Sex-Herkulismus werden. Pasqualino tut so, als wäre er in eine riesige, blasse, aufgedunsene, sadistische SS-Aufseherin verliebt, um seine Überlebenschancen zu erhöhen. Diese wird gespielt von der Amerikanerin SHIRLEY STOLER, die in LEONARD KASTLES B-Movie-Noir-Juwel THE HONEYMOON KILLERS (1970) und CATHERINE BREILLATS Debüt UNE VRAIE JEUNE FILLE (1976) zu sehen war.
Es folgt eine aberwitzige, die Geschmacks-Schmerzgrenze arg strapazierende Szene, in der Giannini in KZ-Sträflingsuniform seine ganze Manneskraft unter Beweis stellen muß und das gewaltige Naziweib durchziehen muß. Eine titanische Herausforderung an die männliche Potenz, wenn es je eine gab! 
Sex im KZ
Shirley Stoler
Dazu passende Musikuntermalung von ZARAH LEANDER. Nach dem Krieg kehrt er nach Neapel zurück, wo seine Schwestern und seine Verlobte inzwischen für die Amerikaner auf den Strich gehen. Er hat überlebt - aber zu welchem Preis? In einer Nebenrolle, als im KZ inhaftierter spanischer Anarchist, ist der unvergessene BUNUEL-Star FERNANDO REY zu sehen.

"Sieben Schönheiten" wird am Rande zum SADICONAZISTA-Genre gezählt, das im Italien der 70er Jahre florierte und über das MARCUS STIGLEGGER ein lesenswertes Buch geschrieben hat. Die Verquickung von (perversem) Sex, Dekadenz und Faschismus gab es etwa  in Viscontis LA CADUTA DEGLI DEI ("Die Verdammten", 1968), LILIANA CAVANIS S/M-Schocker IL PORTIERE DI NOTTE ("Der Nachtportier", 1973) oder TINTO BRASS Softporno-Orgie SALON KITTY (1976).
Wertmüllers Film liefert die makaber-komische Variante dazu. Ihr Film ist ein barock-exaltiertes, schwarzes, giftiges Meisterwerk, eine antifaschistische Satire ebenso wie ein sarkastischer Kommentar zu den Geschlechterrollen und dem opportunistisch-wendigen Überlebenswillen ihrer italienischen Landsleute. Den Abschluß der Trilogie bildete 1978 FATTO DI SANGUE...(Blutfehde), neben Giancarlo Giannini mit Italiens ewigem Traumpaar MARCELLO MASTRIOANNI und SOPHIA LOREN in den Hauptrollen. (Mit der Loren drehte Wertmüller Jahre später, 1990, einen weiteren Film SABATO, DOMENICA, E LUNEDÌ, ironischerweise mit der hübschen Duce-Enkelin und heutigen Rechtspolitikerin ALESSANDRA MUSSOLINI in einer Nebenrolle. Mussolini ist übrigens die Tochter von Lorens Schwester, also ihre Nichte ersten Grades! ) Der Film spielt in Sizillien im Jahre 1922, einem Schlüsseljahr für den italienischen Faschismus, der mit dem legendären "Marsch auf Rom" seinen ersten großen Triumph feierte. "Blutfehde" wimmelt wieder mal von Sex und Gewalt, Faschisten und Mafiosi, und endet in einem blutigen Showdown, der eines Sergio Leone würdig gewesen wäre. Nach "Blutfehde" begann Wertmüllers Stern zu sinken. Spätere Filme wie UN COMPLICATO INTRIGO DI DONNE, VICOLI E DELITTI ("Camorra", 1985, mit HARVEY KEITEL) reichten nicht mehr an die Vitalität früherer Arbeiten heran. Die meisten dieser Filme wurden in Deutschland gar nicht erst gezeigt. Ihren festen Platz hat Wertmüller in der Filmgeschichte jedenfalls, und ihre deftig-manierierten Meilenstein-Knaller der 70er Jahre sind so frisch wie am ersten Tag. So sei an dieser Stelle der Regie-Exzentrikerin zum unrunden 78. Geburtstag gratuliert.

 
Martin L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Homepage von Lina Wertmüller
» Wertmüller auf Wikipedia
» Wertmüller in der Internet Movie Database


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