Auf dem vorliegenden C46-Tape, das uns seitens
THE EPICUREAN in einer limitierten Auflage von 100 Stück serviert wird (und zum Erscheinen dieser Rezension, so steht zu befürchten, bereits vergriffen sein dürfte), versammeln sich zwei Nebenprojekte der
LAST DOMINION LOST-Mannen JOHN MURPHY und JON EVANS: Die A-Seite füllt ein durchgehender Zwanzigminüter von KRANK, jenem langjährigen Experimental-/Noise-Outfit des JOHN MURPHY, das während der mittlerweile gut 30 Jahre seines Bestehens durch die erstaunliche Varianz des Projektnamens – KRANK, KRANG, KRAANG, KRANNG, KRÄNG usw. –, sowie einen
extrem übersichtlichen Katalog an Alben im engeren Sinne auffällt. Der Promotext spricht vom ersten Album seit dem, "Chaos" betitelten, Debüt, das 1983/84 als Tape auf dem, vom notorischen Okkult-Skinhead-PE-Philosophen ÜLEX XANE gegründeten, australischen
EXTREME-Label erschien und 1991 von
DARK VINYL als CD wieder aufgelegt wurde. Dies trifft freilich zu, wenn man ausschließlich den Output als
KRANK betrachtet, nimmt man jedoch zusätzlich den von
KRANG nebst Varianten in den Blick, müssen streng genommen noch ein, zwei Alben hinzugezählt werden, so z.B. die legendäre, 1989 bei dem kurzlebigen Würzburger Label
FREUDWERK erschienene LP "Krang" sowie die 2000 von
TESCO veröffentlichte Compilation
"Uro: 1981-83" – wenngleich es auch hier inhaltliche Überschneidungen gibt und insofern Fragezeichen hinsichtlich des vollwertigen Albumstatus durchaus berechtigt sind. Doch wie man es dreht und wendet: MURPHYs Soloprojekt tritt alle Jubeljahr(zehnt)e mit einer neuen Veröffentlichung in Erscheinung, insofern ist es durchaus bemerkenswert, auf
"Verdant Hum" mit dem ersten, wirklich brandaktuellen Track seit ca. 15 Jahren beglückt zu werden. Die B-Seite des Tapes bestreiten
THE GRIMSEL PATH, das relativ junge und bisher – bisher! – tonträgerlose Experimental-/Noise-Projekt von MURPHY und seinem LDL-Kollegen JON EVANS, mit sechs, live auf dem "Foetus Frolics Festival" 2012 in Berlin aufgenommenen Tracks.
Unterstützt durch TILL BRÜGGEMANN von
GERECHTIGKEITS LIGA lebt Szene-Urgestein JOHN MURPHY, von Haus aus Schlagzeuger, mit
"NAOS Number 1" auf der A-Seite geschlagene zwanzig Minuten lang seine experimentellen Soundmanipulationsneigungen aus. Und ja: Dieses Material
ist experimentell – wer hier den "Wumms" sucht, also einen treibenden, irgendwie integrativen Faktor, der wird ihn lange und im Grunde vergeblich suchen. So gesehen kann man
folgender Charakterisierung auf der Seite von
THE EPICUREAN nur beipflichten:
"In carefully chosen moments, the piece gives room to little islands of harmony, but at the same time avoids anything, that comes even close to a flow". Harmonie, Gleichgewicht, Stringenz oder Berechenbarkeit sind Faktoren, denen KRANK weiträumig aus dem Wege geht. Das einzige strukturelle Fragment, das den Track durchzieht, ist ein bedrohlich und irgendwie vertraut klingender (leider komm' ich nicht drauf, woher) Loop, der stetig abebbt und wieder auflebt, dabei jedoch im Hintergrund verbleibt, während es um ihn herum klingelt, rumpelt, raschelt, wispert, quietscht und knirscht, dass es eine wahre Freude ist. Im Unterschied zu frühen Werken, insbesondere solchen der 80er-Jahre, kommt "NAOS Number 1" etwas weniger harsch und brutal daher, sondern als Soundcollage im engeren Sinne, wobei das Stück insbesondere durch seinen erfreulichen Abwechslungsreichtum und die vielschichtige Komposition besticht. Als außerordentlich reizvoll empfand der Rezensent insbesondere das letzte Viertel des Stücks, in dessen Verlauf der Sound in einen düsteren, von unterkühltem Geschepper begleiteten Drone-Sound ausläuft, der entfernt an frühe LUSTMORD-Tracks erinnert und das Opus seinem Ende entgegenführt. Ob übrigens der Titel "NAOS" tatsächlich eine Reminiszenz an das gleichnamige
okkulte Einführungswerk aus dem Umfeld des
"Order of Nine Angles" darstellt, muss an dieser Stelle unentschieden bleiben, scheint jedoch angesichts MURPHYs Affinität zu Okkultismus und Esoterik immerhin nicht
völlig unwahrscheinlich.
Nicht minder spekulativ ist übrigens die These, THE GRIMSEL PATH könnten ihren Bandnamen dem gleichnamigen
Schweizerischen Alpenpass entliehen haben, dessen Gipfelplateau vom wunderschönen Totensee (sic!) geschmückt wird. Man ahnt es nicht, doch ist es ja gerade dieser Ruch des Mysteriösen, Nebulösen, Undurchsichtigen, der MURPHYs und EVANS' neue musikalische Spielwiese umwölkt und dergestalt so überaus reizvoll macht. Musikalisch hauen die sechs Tracks in eine ganz ähnliche Kerbe wie das A-Seiten-Stück, doch wirken sie im Gegensatz zu jenem epischen Werk eher wie kleine, verspielte und dennoch dezidiert finstere Experimental-Miniaturen. Auch hier wartet man vergeblich auf Strukturen im engeren Sinne, bestenfalls deuten sich kurze Rhythmusfragmente oder Melodiefetzen an, um wenig später bereits wieder durch abrupte Störmanöver konterkariert zu werden und mit Mann & Maus im akustischen Orkus zu verhallen. Mit "Deviation" setzt man einen recht harschen Einstieg, zerhackstückte Stimmen über amorphem Gerumpel generieren eine verhalten panische Grundstimmung, während das anschließende "Scorched Earth" mit atmosphärischem Rauschen, hintergründigem Gemurmel und gelegentlichen Noise-Einsprengseln schon fast entspannt wirkt. Stellenweise schimmert eine nachgerade trippig-psychedelische Atmosphäre (selbstverständlich unter betont
unbehaglichem Vorzeichen) durch, insbesondere "Hair Soap Candles" hat es dem Rezensenten in dieser Hinsicht angetan. Im Rahmen der gegebenen Verhältnisse (!) entwickelt der Anschlusstrack "Run Please Master" durch seine einigermaßen konsequent durchgehaltene Rhythmusstruktur nachgerade Ohrwurmcharakter. "Sideshow Of The Soul" wiederum evoziert auf Basis eines dumpf kreiselnden Grundloops eine klaustrophobisch und beklemmend wirkende Düsternis, deren Druck durch kontinuierlich erfolgendes Noisesperrfeuer jedoch immer wieder aufgebrochen wird. Das programmatische "End Of Transmission" schließlich setzt einen krachigen Schlusspunkt, der im Grunde die perfekte Überleitung bildet, um die Cassette umzudrehen und, weil's gar so schön war, einfach wieder von vorne zu beginnen.
Kurzum: Der ganz spezielle Charme dieser sechs kleinen, bizarren, musikalischen Gestecke und ihres ungleich umfangreicheren, dabei jedoch nicht minder charmanten A-Seiten-Pendants liegt in der prinzipiellen Unberechenbarkeit beschlossen, die konstitutiv für das Gesamtkonzept von KRANK wie THE GRIMSEL PATH gleichermaßen ist. Es macht einen Heidenspaß, bei jedem Durchlauf Neues zu entdecken und neue Assoziationen zu verfolgen, wenngleich der Einstieg in "Verdant Hum" – der Titel rekurriert übrigens auf lautmalerisch-synästhetische Betrachtungen JOHN MURPHYs – zugegebenermaßen keineswegs ein Selbstgänger ist:
Ohne Frage handelt es sich hier um sperrigen, spröden und widerborstigen Stoff, von dem Personen, denen das Faible fürs Sperrige, Spröde und Widerborstige
abgeht, zweifellos besser die Finger lassen sollten. Alle anderen hingegen dürften ihre helle Freude haben, denn
beide Seiten der Cassette sind ungeachtet der dezidiert unlustig-ungemütlichen Atmosphäre, die sie verbreiten, so erfrischend unkonventionell, originell und authentisch, dass sie schwerlich langweilig werden, sondern mit jedem Hördurchlauf eine intensivere Wirkung entfalten. Last but not least wird dieser Gesamteindruck auf visueller Ebene kongenial durch das Coverartwork von KRISTIAN OLSSON unterstützt, dessen morbide Collagen dem geneigten Rezipienten von diversen SURVIVAL UNIT- und
ALFARMANIA-Veröffentlichungen bekannt sein dürften. – Fazit: Runde Sache. Alle Daumen steil nach oben.