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Martin L.

Hans-Jürgen Syberberg zum 70. -Teil 2

Erinnerung, Klageverbot und der Gang zu den Quellen


Hans-Jürgen Syberberg zum 70. -Teil 2
Kategorie: Spezial
Wörter: 1448


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Im ersten Teil dieses Berichts haben wir ausführlich über Hans-Jürgen Syberbergs Versuch einer "Entnazifizierung" der deutschen Geschichte und Geistesgeschichte berichtet. "Kann und darf, gerade und ausgerechnet, ein Film über Hitler und sein Deutschland Identitäten wiederfinden, heilen, erlösen? Aber, so frage ich mich, wird man je wieder frei werden vom bedrückenden Fluch der Schuld, wenn man nicht ins Zentrum der bohrenden Krankheit kommt. Ja, nur hier in einem Film, der Kunst unserer Zeit, über grade diesen Hitler in uns, aus Deutschland, wird Hoffnung kommen dürfen." (Syberberg).

Zu Syberbergs Bewunderern zählte auch der Dramatiker und DDR-Dissident Heiner Müller. Er fand treffende Worte für den "Hitler"-Film. Dieser suche "die Blutspur der VERGESSENEN AHNEN.....Das Vergessen trägt den Namen Hitler, der die Landschaft der deutschen Geschichte kolonisiert. Der Film unternimmt die Wiedereroberung des besetzten Geländes....Syberbergs 'Hitler' ist ein Exorzismus." (Syberbergs Hitler-Film.München 1980)

Diese "Kolonialisierung" freilich trug und trägt ein doppeltes Gesicht: die Religion des American Way of Life, die "Demokratie" im Sinne des US-amerikanischen Liberalismus, braucht als Gegenkontrast, Rechtfertigung und Zementierung ihrer Hegemonie und Unantastbarkeit den Satan "Hitler", der um so schwärzer gemalt werden muß, je weißer die "westliche Wertegemeinschaft" dagegen erstrahlen soll.

Die Klärung dieser Fragen muß naturgemäß tief in die gesamtdeutsche Nachkriegsgeschichte hineinblicken, die auch eine Geschichte der ideologischen und militärischen Besetzung durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ist. So heißt es in einem Film von Wim Wenders, der die deutsche Entortung durch Amerikanophilie zu überwinden versuchte und in Deutschland Road-Movies zu drehen begann: "Die Amerikaner haben unser Unterbewußtes kolonialisiert."

Diesen Zusammenhängen widmete sich Syberberg ausgiebig in einer Schrift, die noch vor dem November 1989 begonnen wurde und im Jahre 1990 bei dem Münchener Verlag Matthes & Seitz erschien: "Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege." Der in Vorpommern geborene Syberberg stellte gleich zu Beginn des Buches eine Photographie vom Parolesaal des zerstörten Stadtschlosses von Berlin, das unter Ulbricht abgerissen und durch den "Palast der Republik" ersetzt wurde. Darunter ein Zitat von Ernst Jünger: "Wo Bilder fallen, müssen sie durch Bilder ersetzt werden, sonst droht Verlust". Dieses Motto bildet einen der roten Fäden des Buches, einen anderen die Trauer um das alte Preußen, zu dem sich Syberberg ausdrücklich bekennt.

Weitere Zitate von Friedrich dem Großen und Clausewitz waren dem Text vorangestellt, die einzelnen Kapitel mit den berühmten Zeichnungen Adolph Menzels zu Kuglers "Geschichte Friedrichs des Großen" versehen.

Den Rundumschlag, den Syberberg in einem schwierigen, kleistisierenden Stil vor dem Leser ausbreitet, ausreichend zusammenzufassen, würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen.Er prangert die Dürftigkeit, die ideologische Verbissenheit des deutschen Kunstbetriebs an, versucht seinen Vorausetzungen und Ursachen auf den Grund zu gehen, seine Tabus in Frage zu stellen, übt dabei Selbstkritik und reflektiert über die Ereignisse der Wende 1989/90. Dabei nahm er vieles voraus, was Botho Strauß in seinem Essay "Anschwellender Bocksgesang" Jahre später wieder aufgriff. Was sein Hauptthema, die Kunst, betrifft, so sind wieder Hitler und der Nazismus die geistigen Knüppel der Meinungsmacher - so seien der Mythos und die Schönheit, zentrale Elemente der Kunst seit Jahrhunderten, verdächtigt und verworfen worden:

"Alles, was jahrhundertelang als Ziel und Ausdruck der Freiheit des Menschen im Wechsel seiner Ideale galt, mußte vermieden werden, galt als verführerisch, erhielt einen Makel. Jede Gegenformel war erwünscht, von der einfachen Ironisierung des Helden bis zur Häßlichkeit in den Varianten der Armut des Geistes, ohne Ewigkeit der Seele. Den Gegenwelten des Schönen waren alle Tore geöffnet, grinsend und marktbeherrschend, frech."

Die Folge war ein pathologischer Miserabilismus:

"Das auffälligste Kriterium der heutigen Kunst ist die Bevorzugung des Kleinen, Niedrigen, der Verkrüppelung, des Kranken, des Schmutzes vor dem Glanz....Das Gemeine als Gegenwelt des klassischen Ideals besiegt die nackte Schönheit. Die Zote wird zur Politik der Ästhetik, kurzatmig und laut...Die Liebe ein Gelächter und der Tod des Helden unbeklagt, wie ein Gerücht aus finsteren Tagen vor der Befreiung....Hamlet in Unterhosen und Don Giovanni im Hurenhaus der Fast-Food-Kette gehören zum Alltag der heutigen Ästhetik. Daß die zentrale Figur des bekanntesten Nachkriegsromans in Deutschland ein Zwerg ist, charakterisiert das hier Beobachtete."

"Der Krüppel für die Kunst und für die Werbung den Helden."

Verbunden mit dieser "Ästhetik der Verkleinerung" sei eine "pathologische Selbstzerstörung" erfolgt, die mit der Kultur auch noch buchstäblich die "Auslöschung der Natur" mit sich zog. Von der Demontage des Schönen, der Tragik, des Eros, des Heroischen hätte lediglich die "Plastikwelt" des Konsums profitiert. Besonders fatal hätte sich jedoch das unter der Geißel einer einseitigen Vergangenheitsbewältigung entstandene "Klageverbot" ausgewirkt, ein Begriff, den Syberberg mit Seitenblick auf Alexander Mitscherlichs berühmtes Schlagwort von "der Unfähigkeit, zu trauern" prägte. Kaum ein Kunstwerk nach 1945, das wirklich ausreichend das Ausmaß des Untergangs und Verlustes ausgeschöpft hätte. Das wäre aber die Aufgabe der Kunst gewesen, die "zentralen Themen unserer Zeit" zu behandeln, als die er nannte:

Den "Zusammenbruch des Deutschen Reiches und seine Umstände in Vergewaltigung als Befreiung und Umerziehung in der Mitte des Kontinents und seine Folgen mit der Teilung Deutschlands und damit Europas und das Verschwinden eines der zentralen Kulturstaaten, nämlich Preußens. Zweitens Auschwitz und der Exodus der europäischen Juden nach Israel und Amerika. Und drittens die Vertreibung von 15 Millionen Menschen aus den östlichen Provinzen Deutschlands...was einer zwangsweisen Völkerwanderung von säkularen Maß gleichkommt."

Er erinnerte an den Bombenterror, an die Traumata des Krieges, an den Untergang Schlesiens, Ostpreußens, Böhmens:

"Man kann Regierungen auswechseln und die Nationalitäten, aber was hier geschah, die Menschen zu vertreiben, aus ihren Lebensformen des Essens, der Kleider und Sprache, von den Gräbern der Jahrhunderte ihrer Ahnen, sie wurden verdammt zu schweigen, unter dem Hohn und Tabu der Kunst für ihr Opfer. Sie durften nicht sprechen....Die Stätten der Kultur wurden zerstört und niemand durfte weinen. Stoff für Jahrhunderte eines Homer, der Ilias und Aneis....Hekubas Klage erfüllt ganze Dramen, Kinder geschändet, versklavt, gemordet, das Land, die Stadt verbrannt, der Mann getötet, sich selber umgebracht. Visionen des Untergangs verkündet für die Sieger...Wehe dem Volk aber, das ohnmächtig verkommt in der Unfähigkeit, musealer Erinnerungspflege und aufklärerischer Institute ...Verhinderte Reinigung aber staut Erinnerung ohne Verzeihen, und das ist Antikunst."

Dem Autor dieses Berichts erscheinen Syberbergs Zeilen unvermindert aktuell. Man bedenke die ständig aktuellen Eiertänze um die Errichtung eines längst fälligen "Zentrums gegen Vertreibung" in Berlin, an die neurotische Verkorkstheit im Umgang mit Gedenktagen wie demjenigen der Vernichtung Dresdens, an die Kontroversen um Lea Roshs mit Steuergeldern errichtetes Ungetüm in der Hauptstadt, an die kryptorassistischen "Deutsche Täter sind keine Opfer"-Hysterien, an die unsäglichen, morbiden "Feiern" zum 8. Mai, mit anderen Worten, an das Vergessen und Verdrängen einer traumatischen, leidvollen Wirklichkeit in der deutschen Kollektivseele eben unter der heuchlerischen, neurotisch gewordenen Parole des "Niemals vergessen".

Alfred Schuler meinte einmal von der Stoa, daß sie mit der Zerstörung der Affekte am Ende die eigene Lebensenergie zerreibe. Gilt nicht das gleiche für die Deutschen nach 1945?

Von den aggressiven Reaktionen auf Syberbergs Buch, unter anderem wollte die FAZ ihn für immer aus der Kulturdebatte ausgrenzen, habe ich schon im ersten Teil gesprochen. Er erlitt das Schicksal aller, die es wirklich riskieren, dem Zeitgeist zu widersprechen. Ihm nach folgten in den Neunziger Jahren etwa Botho Strauß, Peter Handke und Martin Walser. Schon im Hitler-Film hatte Syberberg die "Goebbels, die Lehrmeister der Sprache" in Ost und West angeprangert. Dem nazistischen Kulturkampfvokabular stellte er in einer Szene unter der Überschrift: "Kauderwelsch Ost / West" jenes der zeitgenössischen Apparatschiks gegenüber. Auf die Diffamierung hinweisend, die in der DDR etwa Biermann erlitt und in der BRD Syberberg selbst, sprach er von der "Kulturhölle um uns" und brachte sie sinnfällig mit den Ritualen der Bücherverbrennung von 1933 in Verbindung.

Inzwischen ist es still um Syberberg geworden. Geld für Filme bekommt er schon lange nicht mehr, und er scheint sich aus dem Film-Business angewidert zurückgezogen zu haben. Unermüdlich widmet er sich jedoch weiterhin Projekten, die seine alten Themen auf neuer Ebene fortsetzen. So erregte auf der Documenta 1997 seine "Cave of memory" einiges Aufsehen, ein dunkler, höhlenartiger Raum, voller zeitgleich laufender Videoinstallationen, Töne, Photos, in dessen Zentrum Aufnahmen des 1984 verstorbenen großen Schauspielers Oskar Werner standen - eine Art begehbarer, interaktiver Film. Ein mediales, "virtuelles Preußen", als Museum in einem eventuell neu erbauten Berliner Stadtschloß ist ein weiteres Projekt, das ihm vorschwebt. Inzwischen ist er jedoch in das Haus seiner Kindheit in Nossendorf, Vorpommern, zurückgekehrt, das nach dem Krieg enteignet wurde. Die nun sein Hauptinteresse einnehmende Arbeit an der Wiederherrichtung des Gutes wird auf Syberbergs Webseite mit Texten, Collagen und Photographien kommentiert. Hier erschafft sich der zurückgezogene Künstler sein eigenes "Haus Wahnfried", sein inneres Reich der verlorenen Seele - durch Trauer und Erinnerung hindurch den Weg zu den Quellen, auf dem ihm im bundesdeutschen "waste land" niemand folgen wollte, nunmehr im Alleingang zurücklegend. Seinem einzigartigen Werk in Film, Schrift und Bild wünschen wir an dieser Stelle viele neue Leser und Zuschauer.

ENDE

Martin L., 18.12.2005. Love & Happy Birthday to: M.


 
Martin L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Syberbergs Homepage - Nossendorf
» Syberbergs Filmographie
» Syberberg über Yukio Mishima


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