Das ist keine Unterhaltung, keine Musik, wie man sie landläufig glaubt, überall hören zu müssen, weil man sich nicht vorstellen kann, dass es da noch Anderes, weit davon Entferntes gibt. Das ist eher so etwas wie bildende Kunst. Also nicht das bekannte Irgendetwas, das schnell vergessen wird, sondern etwas, das länger bleibt, weil es einen beschäftigt.
ERNSTALBRECHT STIEBLERs Musik schwirrt einem im Kopf. Allerdings ist sie recht sperrig. Der Zugang fällt vielen sicherlich schwer. Das könnte hauptsächlich daran liegen, dass wir uns in klassische Gebiete wagen, wenn wir über diesem Mann reden, schreiben oder gar seine Musik hören. Die nämlich wird mit eben solchen klassischen Instrumenten gespielt. Dieser Art von Musik haftet ja immer auch etwas Verstaubtes oder aber zu Verkopftes, Akademisches und damit irgendwie von der Mitte der Musik noch weiter Entferntes an, als es die experimentelle, randständige Musik, die auf diesen Seiten verhandelt wird, tut. Was sie dann aber wieder in unsere Nähe rückt, ist, dass sie eben strikt unpopulär und aufs Äußerste minimal daherkommt. Und damit nicht genug. Sie ist dem Höreindruck nach auch vielleicht sogar Elektroakustik, Electro, Drone oder Ambient. Und zwar alles zugleich. Sie ist fließend und flächig, ein weites Feld, über dem es blitzt und auch reißt. Doch ohne seine Gesamtheit auseinander treiben zu lassen. Im Gegenteil. Alles bleibt schön beieinander. Es entsteht sogar ein eigener musikalischer Raum. Der ist ein gemeinsamer, einer, in dem für Hörer und Musiker gleichermaßen die Grenzen verwischen. Hier wird die Ferne erlebbar gemacht.
ERNSTALBRECHT STIEBLER (die zusammenhängende Schreibweise des Vornamens erinnert an den von STOCKHAUSEN), geboren 1934 in Berlin, studierte an der Hamburger Musikhochschule Komposition, Tonsatz und Klavier. Zunächst stand er unter dem Einfluss der Darmstädter Ferienkurse. 1959 besuchte er dann den Kompositionskurs von KARLHEINZ STOCKHAUSEN und erhielt im Jahr 1966 das Bachstipendium der Stadt Hamburg. Kurz darauf zog es ihn nach Frankfurt am Main, wo er beim Hessischen Rundfunk als Musikredakteur das Programm mitgestaltete und 1989 die Konzertreihe "Forum Neue Musik" gründete und leitete. Währenddessen entstanden viele neue Werke. Diese wurden wie die bereits komponierten aufgeführt. Schließlich zog er 2016 zurück nach Berlin.
Was seine Diskografie betrifft, ist anzumerken, dass sie sich von der Fülle seiner Werke deutlich unterscheidet. Komponiert STIEBLER bereits seit 1958, und zwar ununterbrochen, werden erst seit 1996 Alben von ihm veröffentlicht. Das neuste heißt nun "Zwischen Den Tönen". Es besteht aus insgesamt vier Stücken, die - abgesehen von "Ortung" (03), das 2018 entstand - zwischen 1997 und 2003 komponiert wurden.
Da es sich sämtlich um Live-Einspielungen handelt, kommt dem Publikum eine besondere Rolle zu. Es wird zum Zusatzinstrument. Wir hören, wie es sich auf den Stühlen bewegt, wie es damit knarrt oder hustet. Dazu die gespielte Musik. Sie ist gebunden, doch annähernd formlos.
Auch die Musiker sind neben der Arbeit an ihren Instrumenten von Bedeutung. Man hört sie vor dem ersten Ton, beim Ansetzen der Instrumente. Deren Klänge schwingen sich dann auf. Oben angekommen überlagern sie sich, reichern sich an, bis Töne erklingen, die so nicht gespielt werden. Es kommen also auch grad die Nebenschauplätze zur Geltung. Hier fordert jemand die Hörer und das Hören selbst heraus. Schon bei "Intervall 19" (01) bekommt man den Eindruck, als liefe man gegen eine aufrecht stehende Fläche. Ein sonores Schweben, ein vieldimensionaler Klang. "Slow Motion" (02) wird wie fast alles von STIEBLER piano gespielt, also leise. So leise, dass man abgesehen von den Geräuschen, die das Publikum macht, glaubt, während den kurzen Pausen, die da zuhauf entstehen, irgendwie Töne wahrnehmen zu können. Und so steht man dann bis zum Ende "Zwischen Den Tönen" (04), das lediglich Stimmen als Instrument hat. Diese produzieren ebenfalls, in bestimmten Höhenlagen angekommen, Töne, die man vielleicht noch physikalisch so beschreiben kann, dass ein Frequenzverhältnis herrscht, das sich überlagert. Es entsteht eine Interferenz. Ein herausragendes Stück. Aber wieder auch nicht. Denn das gesamte Album ist besonders. Die Konsequenz begeistert. Für mich beinah unglaublich, dass es so lange gedauert hat, von ERNSTALBRECHT STIEBLER zu hören. Zum Glück zieht die Berichterstattung langsam an.
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