DER BLUTHARSCH: The Philosopher's Stone

Genre: Rock
Verlag: WKN
Vertrieb: TESCO
Erscheinungsdatum:
bereits erschienen
Medium: CD
Preis: ~16,00 €
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Kategorie: Vorschau
Erstellt: 21.04.2008
Wörter: 861
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Wer bei der Interpretation des Titels bei so etwas wie dem Stein der Weisen landet, ist Julius Albin schon auf den Leim gegangen. Am besten lacht es sich immer noch im engsten Kreise, wenn man schon einen Philosophen-Trüffel intus hat. Die magischen Pilze mit dem wissenschaftlichen Namen Psilocybe Tampanensis sind aufgrund der relativ einfachen Kultivierung die derzeit am weitesten verbreiteten “Psylos” in unseren Breiten. Der Leipziger Mykologe JOCHEN GARTZ beschreibt ihre Wirkung in seinem Buch "Narrenschwämme – Psychotrope Pilze Europas" auf Basis eines Selbstexperiments:

"Nach 20 Min. (trat) bei nüchternem Magen sehr plötzlich und unerwartet unter starkem Tränenfluss die Psychose ein. Die Erscheinungen kann man am besten als eine Verknüpfung von Visionen und Gedanken bezeichnen – später fand ich den Begriff der 'Imagination' in der Literatur. Äußerst unangenehm wurde von mir nach der Art eines Tagtraumes ein Flug erlebt, bei dem mich an jedem Arm eine Hexe gepackt hatte. Wir flogen zu dritt irgendwann und irgendwo. Danach sahen alle umliegenden Gegenstände wie ausgebleicht aus. Bei Augenschluss wurden abstrakte Ornamente ohne besondere Leuchtkraft oder emotionale Wirkung gesehen. Während dieser Zeit trat weitere Dysphorie, verknüpft mit schuldbewusstem Grübeln auf. Nach fünf Stunden war die Wirkung plötzlich vorüber, allmählich stellte sich leichter Kopfschmerz ein, weitere Folgen wurden nicht festgestellt."

Es ist nicht auszuschließen, dass Herr Gartz mit dem gleichnamigen Album von DER BLUTHARSCH ähnliche Probleme hätte. Von einem Tränenfluss habe ich nichts bemerkt, auch dauert es weniger als zwanzig Minuten bis zum Einsetzen der Wirkung, die zudem nur im Instant-Repeat fünf Stunden andauert – dafür skizzieren die Substantive gleichsam ein relativ zutreffendes Bild der Reise, auf die uns das geschätzte fünfzehnte Album des österreichischen Projekts schicken will. Visionen, Tagtraum, Flug, Ornamente, Leuchtkraft bis hin zu Dysphorie (Verstimmung/Depression), Psychose und Grübeln – das könnten auch psychische Eckdaten sein, die auf markante Gefühle, Erlebnisse und Assoziationen verweisen oder einfacher, Kilometersteine einer Tour de Force. Auf “The Philosopher's Stone” fängt DER BLUTHARSCH einen wabernden, psychedelischen Geist ein und nimmt ihn schließlich in den eisernen Griff – wie in einer LYNCH-Version des stilvollen Japan-Schockers “Exzesse im Folterkeller” eröffnet sich eine neue Dimension des Vergnügens, die des Schmerzes. Fernab vom S/M-Kitsch der Goth-Ikonen mit ihrem eitlen Maskenspiel, verbinden sich all die Farben und Ornamente zu einem lustvoll gurgelnden Mahlstrom aus Blut und Sperma. Wenn hier nach einer elegischen, irgendwo in der staubigen Geisterstadt von Earth verlorenen und in der endlosen Steigerung eines Kriegstanzes wiedergefundenen Einleitung als gewaltiger Auftakt furchtlos über ein “Sea Of Blood” gesegelt wird, ist das Ziel der Reise mitnichten Feindesland sondern die Liebe selbst. Hatte die kanadische Rock-Interpretin mit der Ausstrahlung einer arschtätowierten Frisöse doch Recht, ist Love wirklich ein Battlefield? BAIN WOLFKIND, auf dessen Konto der überwiegende Teil der mit Grabesstimme gemeisterten Gesangseinlagen gehen dürfte, würde dem zustimmen und zur Bestätigung mit der Peitsche knallen ...

“Down on your knees little baby
Yeah you taste so good
Taste the whip
like you know you should
(...) Oh come on baby
You know you like it that way
Don't worry bout the blood
It's good for your soul
I thought you said
You like to Rock’n’Roll”

Das ist so lustig wie eine Hasenpfote in der Hose, setzt aber einen effektvollen Kontrapunkt zum Summer of Love. Albin bestätigt in einer kleinen Anfrage, dass es für ihn gerade in den dunklen Momenten des Lebens das meiste Licht gibt und dass Blümchensex in der Tat die langweiligste Form des Sexes sei. Kinky war DER BLUTHARSCH auf eine seltsame Art schon immer, aber so richtig deutlich wurde das erst mit ihren beiden letzten Alben, als sich das Soloprojekt hörbar zu einer Band entwickelte. Zu einer echten Band, möchte man betonen, zu einer, schluck, Rock-Band. Die vier festen Mitglieder – JÖRG B. (GRAUMAHD), BAIN WOLFKIND, Meister Albin und sein Weib MARTHYNNA – werden auf “The Philosopher's Stone” bei jeweils einem Song von Klarinettistin CHRISTINE K. und Violinist MATT HOWDEN (SIEBEN) unterstützt, der Rest ist ihre eigene Schöpfung. Jeder der vier hat entscheidend dazu beigetragen, dass ihnen gemeinsam eins der seltsamsten psychedelischen Rock-Alben unserer Zeit gelungen ist. Ähnlich verstörend wirkte nur “Hell Is Invisible ... Heaven Is Here” von PSYCHIC TV/PTV3, doch während GPO im Transgender-Wahn immer wieder zwischen Rocker und Drama-Queen changiert, was freiwillig oder nicht, für ein gerütteltes Maß an Ironie im Abgang sorgt, zeigt sich DER BLUTHARSCH aufrecht in seiner Bewunderung, Affirmation und Verarbeitung von ROCK (capital!).

Für Albin, den mit zunehmender Begeisterung dunkler und dunkler grantelnden Wienerwäldler, waren die Katastrophen das Beste an der Hippiebewegung und entsprechend dionysisch klingt das Album seiner Band. Es liefert den perfekten Soundtrack für die Gegenveranstaltung zum bizarren 68er-Jubiläumsterror. Wenn hier von “Love” gesungen wird, könnten Peace und Harmony nicht weiter entfernt sein. Die Drogen wirken heute besser als damals, aber die Illusionen sind inzwischen bestenfalls Kanonenfutter für boshafte Witze. Niemand glaubt mehr an ein besseres Morgen und dass wir es gemeinsam schaffen. Wir sind keine Einheit. Nichts ist in Ordnung. Du bist nicht mein Bruder, ich will nicht deiner sein. Der Zustand höherer Unordnung ist immer der wahrscheinlichere, darum haben wir uns den Weltfrieden schon lange von der Backe gemacht: Total War! “The Philosopher's Stone” zelebriert diese Desillusion als furioses Fest der Negation - Die, die, die, my Darling.