Optisch ist die 'Gemeine Alraune' (Mandragora Officinarum) ein unscheinbares und zerfleddert wirkendes Pflänzchen. Für viele
NONPOP-relevante Musiker spielt sie dennoch eine große Rolle:
ANNABEL LEE (BLOOD AXIS) tritt als ALRAUNE auf und besingt mit "Mandragora" die Pflanzengattung,
ALLERSEELEN hat ihr ein Lied gewidmet, JOE PRESTON (MELVINS) mit seinem lärmigen Soloprojekt
THRONES ein komplettes Album und das tschechische Industrial-Projekt
DO SHASKA! gar ein ganzes Boxset zusammen gestellt; nur ein paar Beispiele.
Die Bedeutung, welche die Alraune heute hat, geht auf ihre jahrtausendelange Geschichte als angebliche Zauber- und Medizinpflanze zurück. Schon ungefähr 2000 vor Christus wurde sie als Heilmittel gegen Schmerzen erwähnt. Vor allem im Mittelalter galt sie als magisch, ihrer Wurzel - die einem menschlichen Körper ähnelt - wurden diverse Zauberkräfte zugeschrieben, etwa die Vermehrung von Geld. Sie war allerdings sehr schwierig zu beschaffen, da die Wurzel beim Ausgraben angeblich jeden durch einen Schrei in den Wahnsinn trieb. In vielen Volkserzählungen und Sagen taucht das 'Galgenmännchen' oder die 'Menschenwurzel' auf, auch in GOETHEs "Faust" wird sie erwähnt, und durch die "Harry Potter"-Filme ist die Alraune als Zaubertrankpflanze erneut bekannt geworden.
Ende des vergangenen Jahres hat
ATZMANN ZOUBAR ein Themenalbum zur Alraune veröffentlicht, "zwischen Ritual Industrial und verschrobener Naturmystik", wie die CD-Info verspricht und damit den Erwartungshorizont gut eingrenzt. ATZMANN ZOUBAR ist das Pseudonym eines Musikers aus Hessen, der als K. MAKIRI einigen vielleicht mit seinem experimentellen Projekt
TARSUS (Eigenbezeichnung: 'Krautnoise') schon aufgefallen ist. Liveauftritte unter diesem Namen gab es bereits (ebenfalls im Zeichen der Pflanzenmagie, wie auf
NONPOP nachzulesen ist), und mit "Aut Sperma In Terram Effundit" liegt nun das Debut vor. Einen Hinweis auf den Umgang mit dem Thema gibt der Albumtitel schon, denn es handelt sich um ein Originalzitat aus der "Alraunsage" der GEBRÜDER GRIMM, die im Opener vorgetragen wird. Darin heißt es sinngemäß: Wenn ein unschuldiger Jüngling gehängt wird und Wasser lässt ("aut sperma in terram effundit"), dann wächst an dieser Stelle ein Alraun. Weitere Originaltexte werden in anderen Tracks verarbeitet.
Der Opener (01) verspricht Dark Ambient mit seinen lange anhaltenden Drones und viel Klirren und Rasseln, dazu Gongschläge. Sehr mysteriös und geisterhaft, das Ganze. Dazu ertönt, wie angekündigt, der Text der "Alraunsage", vorgetragen von einer gruselig verzerrten Stimme und passend beendet mit Glockenschlägen. "The Magic Root" (02) ist sehr viel unterholziger, natürlicher. Sternennacht, metallene und hölzerne Schläge, eine Beschwörung. Hier wirken die langgezogenen Drones auf einmal schamanisch. Textpassagen blitzen nur kurz auf, im letzten Drittel setzt Rhythmus ein, die rituelle Percussion treibt voran. "Main De Gloire" (03 -
siehe Video) wechselt dann wieder ins Elektronische, geht Richtung industrieller Dark Ambient. Über Synthiedrones flüstert eine französische Frauenstimme Sätze über die Gefährlichkeit und Magie der Pflanze. Weiterhin steht die stoische (aber dezente) Trommel im Raum. Im zweiten Teil ergibt sich eine Art Songstruktur mit gedehnter Melodie, fast wohlig und ähnlich wie bei ANTLERS MULM. Melodiös und ambienthaft geht es bei "Menschenwurz" (04) weiter, die Instrumentierung wechselt ins Orientalische, an der Geige übrigens
MATT HOWDEN! Erneut stimmt eine Frau, dieses Mal in einer fremdländischen Sprache, eine Beschwörung an, wie in Trance, und die vielen Instrumente sorgen für warme, analoge Stimmung.
Ganz anders wieder "Una Planta Que Sonaba" (05), ein Originaltext zu Monstergrummeln verfremdet und verlangsamt. Die Trommeln klingen martialisch, beinahe nach Military-Kapelle, und der Track endet mit Babygeschrei. "Rotes Gold Und Junge Liebe" (06) arbeitet wieder mit einem deutschen, gut vorgetragenen Originaltext: Die Männerstimme zitiert aus "Alraune, Die Geschichte Eines Lebenden Wesens" von
HANNS HEINZ EWERS. Musikalisch stehen Drones und Frauengeflüster am Anfang, dann ein aufsteigender Synthieton und immer schneller werdende Trommeln. Statt einer zu erwartenden Explosion geht der Song erneut über in orientalische Klänge, die Frauenstimme bringt das Stück exotisch und beinahe poppig zuende. Zum Schluss ein weiterer Gast:
MARCUS VAN LANGEN produzierte die verschiedenen Gitarrenspuren für "Diese Eine" (07), denn mit E-Gitarre(n), Didgeridoo und der Rezitation eines weiteren, mir nicht bekannten deutschen Textes ("...diese eine bleibt unberührt...") geht die Alraunen-Huldigung zuende.
ATZMANN ZOUBAR gelingt es, eine magische Atmosphäre zu erschaffen, die sich das gesamte Album hindurch hält. Trotz der musikalischen Brüche gehen alle Stücke ineinander über, fließen, so dass der Eindruck einer einzigen, riesigen, weltweiten Beschwörung auf unterschiedliche, post-industrielle Weisen entsteht. Wer mit zum Beispiel WALDTEUFEL und ALLERSEELEN oder auch mit Ur- und Alpinfolk etwas anfangen kann, sollte dieses gelungene Projekt antesten! Schade nur, dass im Booklet keinerlei Erklärungen stehen, welche Texte verwendet wurden und woher sie stammen... Das Album ist für
10 Euro plus Porto per Mail beim Label BINTURONG MUSIC zu bestellen.
"Main De Gloire" (03) ist übrigens mit ein paar Visualisierungen auf YOUTUBE zu hören und zu sehen: