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Endsal

ANEMONE TUBE: In The Vortex Of ...

Vom Dionysischen über Death Metal bis zu den Cocteau Twins


ANEMONE TUBE: In The Vortex Of ...
Genre: Post Industrial
Verlag: The Epicurean
Vertrieb: The Epicurean
Erscheinungsdatum:
21. Oktober 2015
Medium: Kassette + Download
Preis: ~9,00 €
Kaufen bei: The...


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Neues aus dem Hause THE EPICUREAN: ANEMONE TUBE, das musikalische alter ego von Labelchef STEFAN HANSER, tritt etwas über zwei Jahre nach seinem letzten Release, dem C-25-Tape "The Transfiguration Of The Image", mit neuem Material an die Öffentlichkeit. Unter dem bedeutungsschwangeren Titel "In The Vortex Of Dionysian Reality" gibt’s diesmal eine C-41 mit fünf Titeln und einer Netto-Spielzeit von knappen 20 Minuten in gewohnt professionell gefertigter sowie geschmack- und liebevoll gestalteter Verpackung; das präsentierte musikalische Material geht vergleichsweise ungewohnte Wege, weiß dabei aber deutlich mehr zu überzeugen als der erwähnte Vorgänger aus dem Jahre 2013, der für den Geschmack des Rezensenten ein wenig zu unentschlossen und amorph daherkam.

Labelseitig wird das neue Opus als "musical homage to guitar solos and dreamy sci-fi death metal influences" beschrieben, die evozierte Atmosphäre oszilliere "between destructiveness and an aggravating frenzy, between the archaic and the sacral". Diese Charakterisierung ist bemerkenswert, denn noch bevor er davon Kenntnis genommen hatte, gehörte die etwas schräge tönende Begrifflichkeit "Post-Rock-Noise" zu den ersten Assoziationen, die dem Rezensenten während des Hörens durch den Kopf schossen. Wir halten also fest: Gitarre – ja, dreamy – jawoll, "death metal influences" – ääääh … nein, irgendwie weniger ... – ansonsten muss man wohl annehmen, dass die Vorstellungen von Death Metal im Hause ENDSAL nicht unwesentlich von denen im Hause THE EPICUREAN abweichen. Ebensowenig vermag der Rezensent die Stimmungslage, die sich während des Hörens entfaltet, mit "destructiveness" oder "aggravating frenzy" in Verbindung zu bringen, ganz im Gegenteil empfand er "In The Vortex Of Dionysian Reality" als ausgesprochen entspannendes und entspanntes Werk von abseitiger, um nicht zu sagen: abgründiger Schönheit. Die endlosen Feedbackschleifen, die konstitutiv für den Sound sind, fügen sich ungeachtet ihrer schrillen Polyphonie zu einem harmonischen Ganzen und begünstigen eine subtil euphorische, wenn auch melancholisch eingefärbte Gemütsverfassung, die dem Rezensenten weit eher aus den Gefilden des Post Rock, denn aus denen des Death Metal vertraut sind. Doch sei's drum, Namen sind Schall und Rauch, und was am Ende einzig zählt, ist doch der Umstand, dass das vorliegende Tape einen ausgesprochen gelungenen Wurf sowie ein vielversprechendes Appetithäppchen im Hinblick auf das, fürs Frühjahr 2016 annoncierte, neue Album abgibt.


Thematisch befasst man sich, wie der Titel klarstellt und das im Innenteil des Covers abgedruckte Zitat aus dem Vierten Stück der »Unzeitgemäßen Betrachtungen« noch einmal unterstreicht, mit dem Konzept des Dionyischen und seinem Verhältnis zur phänomenalen Wirklichkeit, wie es Nietzsche in der so genannten "Artisten-Metaphysik" seines Frühwerkes ausgearbeitet hat. Die Kunst bekommt vom späteren Philosophen des "Willens zur Macht" hier noch die zentrale Rolle bei der Kanalisation jenes entgrenzenden, auflösenden, rauschhaften dionysischen Prinzips zugewiesen, das dem begrenzenden, form- und strukturschaffenden apollinischen Prinzip gegenübersteht – günstigenfalls komplementär, schlimmstenfalls antagonistisch. Da der formstiftenden Funktion des Apollinischen eine Tendenz zur Erstarrung innewohnt, bedarf sie von Zeit zu Zeit der Überwältigung durch das Dionysische, welches alle Erscheinungen wieder in den Strudel der Gestaltlosigkeit hinabreißt und in dieser allumfassenden Strukturauflösung Raum für neue Formen schafft. Dementsprechend ist freilich jene finale "Einswerdung der Menschheit", von der im verwendeten Zitat die Rede ist, ihrem Untergang – nämlich dem Eintritt in den dionysischen Abgrund – synonym zu setzen; die "tragische Gesinnung", die Nietzsche um keinen Preis verloren wissen will, beweist sich in der Kraft, dieses Schauspiel, die Vernichtung der individuellen Einzelexistenz im Dienste des großen Lebensganzen, zu bejahen. Liest man vor diesem Hintergrund den labelseitigen Promotext, der die EP als eine Einladung interpretiert "into the Dionysian dreamland, where tragedy reigns, in pursuit of the ultimate oneness", so klingt das im Verhältnis zwar wirklich eine Prise zu gefällig, doch da sich dergleichen tonale Unangemessenheit nirgendwo in der Musik wiederfindet, kann getrost darüber hinweggesehen werden – wir sind hier schließlich nicht im Philosophischen Seminar.

"In The Vortex Of Dionysian Reality" umfasst drei dezidiert feedbackbasierte Tracks – hierzu zählen Part I und II des titelgebenden Stücks sowie jenes mit dem pittoresken Titel "Turm des Bösen (Die letzte Weisheit)" – für die, ungeachtet ihres apokalyptischen Grundtenors und der bisweilen nicht unschrillen Tonlage, jene entspannt-entspannende "Dreamyness" geltend gemacht werden muss, von der bereits die Rede war, und die freilich nicht zu knapp auf jenen warmen Drone zurückzuführen ist, der zumeist den Hintergrund dominiert. Das Sample im nur eine knappe Minute dauernden Achsenstück "Terror Of Nature" stammt aus dem japanischen Animefilm "Nausicäa Of The Valley Of The Wind" von 1984 und betont noch einmal mit allem Nachdruck jene enge Nachbarschaft von Schönheit und Tod, die auch für Nietzsches "tragische Gesinnung" von zentraler Bedeutung ist. Der Abschlusstrack, "Evangelium der Weltharmonie", ist ein droniges, beinahe rituelles Dark-Ambient-Stück, das in Kollaboration mit den Exil-Russen von POST SCRIPTVM realisiert wurde. Diese zeichnen für jene Klangschalen- und Metallsounds verantwortlich, die neben den verhallenden Stimmfetzen und dem warmen Grundbrummen dem Track eine besonders faszinierende, irgendwie fiebernd-traumhafte Atmosphäre verleihen. – Noch eine Anmerkung zum Sound in eigener, supersubjektiver Sache: Sollte sich irgendjemand unter den Lesern finden, der beim Hören von "Turm des Bösen (Die letzte Weisheit)" ebenso unwillkürlich wie der Verfasser an COCTEAU TWINS' Debütalbum "Garlands" denken muss und darob ebenso verblüfft ist, dem sei versichert: Nein, das ist keine Einbildung – auch wenn bzw. gerade weil dies nicht intendiert war, ist die Ähnlichkeit erstaunlich: man achte einfach nur mal auf den Anfang des Titeltracks von 1982 ...

Fazit: Abwechslungsreiche, vielschichtige und facettenreiche Veröffentlichung mit Tiefgang, die in ihrer Ambitioniertheit bisweilen etwas prätentiös zu wirken droht, aber immer noch die Kurve kriegt. Der Sound ist insgesamt weniger harsch als auf den vorangegangenen Alben und atmet über weite Teile eine Harmonie und Luftigkeit, die man so bislang nicht von ANEMONE TUBE kannte. Und wie das bei einem wirklich gelungenen Stück Musik eben so ist, kann "In The Vortex Of Dionysian Reality" guten Gewissens dem Kenner wie dem Neueinsteiger gleichermaßen empfohlen werden, da es seine segensreiche Wirkung unabhängig von Vorkenntnissen oder Erwartungen entfaltet.

Um mit Friedrich Nietzsche zu schließen: "Ohne die Musik wäre das Leben ein Irrtum." – Eben. Drum.


 
Endsal für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» ANEMONE TUBE-Homepage
» ANEMONE TUBE @ discogs
» ANEMONE TUBE @ bandcamp
» ANEMONE TUBE @ SoundCloud
» THE EPICUREAN-Homepage
» THE EPICUREAN @ facebook
» In The Vortex Of Dionysian Reality @ bandcamp

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Zusammenfassung
Rückmeldung nach ca. 2jähriger Pause mit einem bemerkenswert innovativen Stück Musik: Primär feedbackbasierte Noisestücke entwickeln eine innere Harmonie, die zum Träumen einlädt - erstaunliche Melange aus energetischem Sound & luftiger Atmosphäre; file under "Post-Rock-Noise" ...

Inhalt
01: In The Vortex Of Dionysian Reality / Le Pont Du Diable (8:28)
02: Turm des Bösen (Die letzte Weisheit) (3:15)
03: Terror Of Nature (0:53)
04: In The Vortex Of Dionysian Reality II (4:30)
05: Evangelium der Weltharmonie (2:46)

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