ALLSEITS: Chimäre

Wenn eine Drone-Musikerin aus Bremen stammt, liegt der Verdacht natürlich nahe, dass sie irgendetwas mit TROUM zu tun hat. Dem dort ebenfalls ansässigen deutschen Vorzeige-Duo in Sachen Drone-Musik. Und tatsächlich gab es einige musikalische Kontakte zwischen NINA KERNICKE und TROUM. Zentraler in der Diskografie sind allerdings ihre beiden Soloprojekte, das wohl bekanntere, englisch betitelte ALL SIDES und das deutschnamige Schwesterprojekt ALLSEITS. Von ALLSEITS gibt es nun im Januar nach mehreren Jahren mit "Chimäre" wieder ein Lebenszeichen. Der Albumtitel macht klar, dass wie bei ähnlich betitelten Werken ("Hel", "Dedalus"...) mythologische Figuren Pate standen, dieses Mal das Mischwesen aus der griechischen Mythologie, die Chimäre. Dies lässt sich unmittelbar auf die Musik übertragen, denn viele der Stücke haben tatsächlich parallel mehrere Charaktereigenschaften, von denen passagenweise immer andere die langen Tracks dominieren.

Ein wandernder Elektro-Drone startet den Opener "Drown" (01), nach und nach anschwellend und den Raum ausfüllend. Zunehmend erscheint er schärfer und mächtiger, wie eine dauerläutende Glocke, dazu stößt die langsame und dröhnende Melodie eines sich bewegenden E-Gitarren-Klangs, formt sich zu sägenden Schwingungen in Akkorden. "October" (02) ist einer der Tracks, die durch industrielle Loop-Trommeln getragen werden, stoisch, unterlegt mit einem Fanfaren-Drone. Bewegung entsteht durch den sich verändernden Rhythmus, und erneut baut das gitarrenähnliche Zerren eine Melodie. Weitere unterschiedliche, gleißende Sounds tragen zur extrem voluminösen Atmosphäre bei. "In The Hills" (03) bleibt ruhiger. Warme Töne, wie aus einer Orgel entsteigend, bilden waberndern Ambient; drogige Tastaturläufe eines in sich versunkenen Spielers. In "Interlude" (04) als Zwischenspiel sorgen melodiöse Drones für Melancholie, bevor es zunehmend industrieller weitergeht. Rhythmisch fließt "Sink In Sideways" (05) wie ein geheimnisvolles, riesiges Uhrwerk. Und "Monster" (06) lässt ein riesiges Etwas los. Zunehmendes Wummern, noisig metallene Pings lassen das titelgebende Ungetüm lebendig werden – inklusive des künstlichen Krächzens der heftigste, industriellste Track von allen.

Alle Songs haben viele verschiedene Ebenen, sind zum Beispiel außerordentlich schön und bedrohlich zugleich, spielen im Weltall oder unter Wasser ... Dichter 'Dream Drone', der mit den letzten beiden Stücken etwas wütender und düsterer wird. "Chimäre" ist eine auf sehr hohem Niveau durchkomponierte und durchdachte Mischung aus Drone, Ambient und Dark Ambient. Ein erstes Ausrufezeichen innerhalb dieser Genres fürs neue Jahr!

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